Naomi Campbell verwandelte er in ein Supermodel: "Peter Lindbergh – Women's Stories" porträtiert den Modefotografen.

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East Hampton auf Long Island, ein junger Mann schlendert in Jeans und Strickpullover um ein Haus herum. Es ist das Studio des amerikanischen Malers Jackson Pollock. Die Dokumentation Peter Lindbergh – Women's Stories beginnt mit einer Montage von Archivmaterial.

Doch nicht Peter Lindbergh, der Protagonist des Films, ist in den Eingangssequenzen zu sehen. Der Regisseur Jean-Michel Vecchiet führt sich selbst ein: Er ist es, der 1988 dem Anwesen des Künstlers einen Besuch abstattete. Subtext der Einstiegssequenz: So wie der Fotograf Hans Namuth den US-Maler einst zur Ikone machte, will Vecchiet Peter Lindbergh, den er Ende der 1980er Jahre während eines Shootings mit Tina Turner kennenlernte, ein Denkmal setzen.

Die Eitelkeit wird dem Filmemacher im Verlauf seiner 103 Minuten langen Dokumentation weiterhin im Wege stehen. Dabei ist die Idee, den Mann, der 1944 als Peter Brodbeck geboren wurde, aus weiblicher Perspektive zu zeigen, nachvollziehbar. Der Fotograf hatte in seiner Karriere mehr Frauen als Männer vor der Linse, steckte sie in übergroße weiße Männerhemden und ließ sich nicht beeindrucken von der Opulenz und retuschierten Künstlichkeit der Modefotografie der 1980er Jahre.

Fotograf der Supermodels

Er machte mit seinen Schwarz-Weiß-Porträts von Linda Evangelista, Naomi Campbell, Tatjana Patitz aus Models echte Supermodels. Lindbergh hatte Ausstellungen in Kunsthallen und Museen, schwere Bildbände zeugen von seinem Status in der Modewelt. Er hat #MeToo unbeschadet überstanden und ist noch immer im Geschäft, auch wenn die Zeiten der großen Budgets und gigantischen Gagen in der Branche vorbei sind. Zuletzt versuchte er für die deutsche Vogue, die "sensible Seite" des Schlagerstars Helene Fischer hervorzukehren.

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Im Film kommen dann allerdings weniger Models als langjährige Wegbegleiterinnen, Familienmitglieder und Partnerinnen zu Wort. "Helga, Irene, Petra, Franca" sollen den Fotografen erklären, der in der Dokumentation kaum etwas sagt. Und so verlieren Christa Ritter, Lindberghs Fotoagentin in Düsseldorf, die Moderedakteurin Simone Bergmann, die beim Stern Lindberghs erste Bilder druckte, seine Schwester Helga Polzin, Franca Sozzani, die mittlerweile verstorbene Chefredakteurin der italienischen Vogue, und Astrid Lindbergh, die zweite Ehefrau, viele Worte über Lindberghs Leben: Seine unterirdischen Leistungen in der Schule, das Handballtalent des Teenagers, die unbeschwerte Zeit an der Kunsthochschule Krefeld, die ersten Ausflüge in die Modehauptstadt Paris und dann ins südfranzösische Arles, die Heimat von Lindberghs großem Idol Vincent van Gogh.

Dazwischen zeigt der Film, dass Modefotografen auch nur Menschen sind. Da überredet Lindbergh, der geduldige Frauenversteher, das blutjunge, wasserscheue Model Naomi Campbell, für ein Shooting in einen Pool zu steigen, er dirigiert vor seiner Kamera Uma Thurman und Milla Jovovich und läuft durch rauchende, aufwendige Foto-Sets für die italienische Vogue.

Kindheit in Schwarz-Weiß

Nur: Alles das wird übertönt von den Anstrengungen des französischen Filmemachers, der in der Vergangenheit Andy Warhol und Michel Basquiat porträtiert hat. Die Dokumentation will Psychoanalyse wie Kunstwerk sein, noch dazu eines, das Lindberghs Bildsprache in einen Kinofilm übersetzt. So zeigt Vecchiet ganz viel Schwarz-Weiß: Es sind Bilder des nachkriegszerstörten Berlin zu sehen; die dunklen Kohlenhalden im Ruhrpott, inmitten derer Lindbergh in der Nachkriegszeit aufwuchs, verschmelzen mit Bildern, die der Fotograf später für das Modeunternehmen Comme des Garçons in der Mousson Factory in Nancy gemacht hat.

Der Filmemacher häuft unermüdlich Ideen und Assoziationen an, unternimmt Zeitsprünge, bläst den Film mit poetischen Zitaten auf. Erst glaubt man, aus ihnen spreche Lindbergh. Erst im Abspann wird klar: Es werden Briefe vorgelesen, die Van Gogh an seinen Bruder schrieb. Die Dokumentation macht es dem Zuseher nicht leicht, Lindbergh näherzukommen. (Anne Feldkamp, 1.8.2019)