Fernsehprogramm sucht Zielgruppe: Das neue Infostudio von ORF 1 und das "Magazin 1" waren die ersten Reformschritte von ORF 1, das sich an jüngeres Publikum richtet.

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Mit dem ORF waren ÖVP und FPÖ eigentlich fertig, jedenfalls mit dem neuen Gesetz für Österreichs weitaus größten Medienkonzern. Wäre da nicht die versteckte Kamera gewesen, auf Ibiza, vor der Heinz-Christian Strache darüber sprach, wie man sich mit russischen Oligarchenmilliarden die "Krone" und ORF-Kanäle unter den Nagel reißt.

Das geplante ORF-Gesetz hätte dafür neue Möglichkeiten eröffnet. Jedenfalls jener Entwurf, den das damals ÖVP-geführte Medienministerium schon ziemlich fertig in der Schublade hatte.

Kanäle nach Bedarf

Dieser Entwurf wirft nach STANDARD-Infos aus mehreren Quellen gleich einige der ersten, grundsätzlichen Paragrafen der bisherigen ORF-Gesetze über Bord: Nicht länger soll das Gesetz vorgeben, wie viele Kanäle der öffentlich-rechtliche Rundfunk betreiben soll. Heute schreibt Paragraf 3 drei österreichweite und neun bundeslandweite Radioprogramme vor – Ö1, Ö3, FM 4 und die Bundesländersender – sowie zwei österreichweite TV-Programme, die Hauptprogramme ORF 1 und ORF 2. Und das, noch bevor das geltende Gesetz inhaltlich ausführt, was der ORF auf diesen Kanälen senden muss, damit er seine öffentliche Finanzierung rechtfertigt.

Das neue ORF-Gesetz sollte sich nach den Vorstellungen der ÖVP auf die inhaltlichen Vorgaben konzentrieren. Der ORF soll so viele Plattformen und – so sagen die Rundfunkjuristen – audiovisuelle Mediendienste anbieten, wie er braucht, um diesen öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erfüllen.

Das klingt nach Ibiza und den Wünschen wie aus einem medienpolitischen Forderungskatalog der Mediengruppe von Wolfgang Fellner. Ein solches Papier aus dem Herbst der türkis-blauen Koalitionsverhandlungen 2017 wurde dem "Falter" 2018 zugespielt. Es schlug – neben vervielfachten Förderungen für private Medien – vor, ORF 1 und Ö3 zu versteigern. Wolfgang Fellner sprach damals von einer "Fälschung", er vermutete einen "Irrtum" oder einen "Faschingsscherz", von ihm oder aus seinem Büro stamme das Papier jedenfalls nicht.

Schreibt das ORF-Gesetz die Zahl der öffentlich-rechtlichen Kanäle nicht mehr fest, erleichtert das grundsätzlich den Verkauf von Programmen – oder de facto prominenter Programmplätze auf den Fernbedienungen. Bei ORF 1 wäre das wohl meist der prominenteste erste Platz. Viel mehr ließe sich mit ORF 1 kaum versteigern: Die Kaufprogramme hat der ORF erworben und nicht ORF 1. Die Marke ORF 1 ist doch recht deutlich mit dem öffentlich-rechtlichen Medienhaus verbunden. Das tolle (und recht teure) neue Magazin-Studio steht nun einmal derzeit im ORF-Zentrum.

Ö3 wiederum hat unter allen ORF-Angeboten die höchsten Identifikationswerte beim Publikum. Das sagt die große Studie von Fehr Advice, jener Beratungsfirma, die dem ORF mehr Rückhalt in der Bevölkerung ein- und beibringen soll. Mit Fehr Advice hat schon die Schweizer SRG 2018 die Abstimmung über ihre Rundfunkgebühren gewonnen.

Filet und Fantasie

Eine so offene Formulierung im ORF-Gesetz regt aber nicht allein Filetierungsfantasien an. Sie ermöglicht dem ORF, sich Sinnfragen etwas klarer zu stellen. Zum Beispiel: Kann ein klassischer, öffentlich-rechtlicher Fernsehsender 2020 die Aufgabe erfüllen, das junge und jüngere Publikum hinter dem Smartphone (und/oder "Fortnite") hervorzuholen? Natürlich funktioniert das noch – mit Großereignissen, selbstkreierten TV-Events, großen Sportbewerben. Aber mehr 14- bis 29-Jährige in Österreich nutzen täglich Streamingplattformen wie Youtube, Netflix oder Amazon Prime als lineares Fernsehen. Und diese Zielgruppe schaut länger Online als klassisches TV, wenn man zu Youtube und Co noch Livestreaming und TV-Theken von Fernsehprogrammen berücksichtigt.

ORF 1 ist im ORF-Fernsehen für jüngere Zielgruppen zuständig. Auch wenn Senderchefin Lisa Totzauer ihre schrittweise Programmreform unter der Maxime begann, sich vom Fokus auf Alterszielgruppen zu lösen: Totzauer schaut sehr genau auf die Quoten beim Publikum zwischen zwölf und 49 Jahren, der Werbezielgruppe.

Im Juli liegt das jüngere ORF 1 in exakt dieser Zielgruppe gleichauf mit dem älteren ORF 2, stellte der "Kurier" gerade mit einem genaueren Blick in den Teletest fest. Das im April gestartete "Magazin 1" im Vorabend müht sich wie berichtet, die Werte der "Simpsons" aus dem Vorjahr zu halten. Im Herbst sollen etwa Wahl- und Rateshows und das Feuerwehrcasting "Feuer und Flamme" helfen und eine Late Night mit Peter Klien, bekannt als Reporter der ORF-1-Quotenstütze "Willkommen Österreich". Der Quote fehlt Sport, auch abseits der Fußballwelt- und -europameisterschaften. Bundesliga, Champions League gingen ins Bezahlfernsehen.

Plattform statt Programm

Mit einer so offenen Gesetzesvorgabe könnte der ORF einer digitalen Plattform wie dem geplanten und mit diesem neuen Gesetz möglichen "ORF-Player" wesentliche Teile jener Aufgabe übertragen, mit der sich ORF 1 heute abmüht. Klassisches Fernsehen, zumal mit öffentlich-rechtlichem Anspruch, und junge Zielgruppen auch dauerhaft zusammenzubringen, das bedeutet nicht zwingend, ORF 1 den Fellners, "Krone" und RTL oder einer Oligarchin zu verkaufen: Es gibt noch ein paar Aufgaben für öffentlich-rechtliches Fernsehen, auch auf mehreren Kanälen. Womöglich gespeist aus kreativen Produktionen, die auf digitalen Plattformen entstehen.

So grundlegende Entscheidungen wie die Zahl der Ausspielkanäle und Plattformen trifft der ORF-Stiftungsrat. Die von der Regierung besetzte Medienbehörde prüft, ob er seinen öffentlichen Auftrag erfüllt. Bisher bestimmen im Stiftungsrat die Regierungsparteien in Bund und Bundesländern die Mehrheit. Das dürfte sich auch mit einem neuen ORF-Gesetz kaum ändern. (Harald Fidler, 1.8.2019)