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Die "Lingerie Fighting Championships" fanden im Mai in Las Vegas statt. Doch so sieht das weibliche Pendant zur toxischen Männlichkeit nicht aus.
Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/Ethan Mille

Meryl Streep hat genug: Die Schauspielikone stellte vor einigen Wochen klar, dass sie den Begriff "toxische Maskulinität" für kontraproduktiv hält, weil er heranwachsende Jungen verletze und eine Gesellschaftsdebatte einseitig auf das männliche Geschlecht verenge, obwohl es im Grunde um toxische Menschen geht.

Immunisierung gegen Kritik

Damit ist sie nicht allein. Inzwischen mehren sich die Debattenbeiträge, die sich zum einen gegen ein grundsätzliches Feindbild Mann verwahren und zum anderen darauf hinweisen, dass es womöglich weniger mit Gleichberechtigung und mehr mit Herablassung zu tun haben könnte, wenn Frauen die Fähigkeit abgesprochen wird, sich toxisch zu verhalten. Einige davon dienen lediglich der Immunisierung gegen Kritik. Sie erschöpfen sich in infantilen Ablenkungsmanövern und Gegenfragen, weil sie sich der eigentlich angesprochenen Problematik nicht stellen wollen. Andere beschäftigen sich sehr ernsthaft mit dem Thema, wie die Geschlechter fairer und wertschätzender miteinander umgehen können. Die Auseinandersetzung mit ihnen lohnt sich in jedem Fall.

"Toxische Maskulinität" ist zweifellos ein stark wertender Begriff. Niemand hört gerne, dass er giftig beziehungsweise vergiftet ist. Genau genommen sagt das aber auch niemand. Bei aller Schärfe, mit der die Debatte geführt wird, ist der Mann an sich nicht das Feindbild und wird als solches auch nicht benannt. Im Gegenteil: Fast immer wird Kritik an toxischer Maskulinität mit Verweisen auf andere Versionen von Männlichkeit versehen. Männer sind damit alles andere als überflüssig. So spricht sich die Rasierermarke Gillette in ihrem vielgelobten und vielgescholtenen Werbeclip weder für die Abschaffung von Männern aus, noch erklärt sie Typen, die Frauen ungebeten an den Arsch langen und sexistische Witze machen, für unbelehrbar. Stattdessen fragt Gillette, ob das wirklich die beste Version eines Mannes sein soll, und schlägt entsprechende Alternativen vor.

Gillette

Und das gerade mit Verweis auf Jungen. Toxische Männlichkeit beschreibt im Kern ein (selbst)verletzendes Verhalten, das auf einer limitierten Version von Mannhaftigkeit basiert, die ohne jedes Problembewusstsein hauptsächlich um Macht, Gewaltausübung, sexuelle Eroberung, Status, Aggression und Kontrolle kreist. Das bedeutet nicht, dass Jungen und Männer grundsätzlich ein Problem sind. Es bedeutet, dass alle ein Problem haben, wenn Jungen und Männer glauben, ihre geschlechtsspezifische Identität ausschließlich in diesen Feldern belegen zu können und zu müssen. Wer darin besonders erfolgreich ist, gilt als hypermännlich. Wer sich nicht sonderlich hervortut, wird als unmännlich verschrien.

Beispiele dafür existieren mehr als genug: die Verächtlichmachung von Homosexualität, die Abwertung von Frauen, die Propagierung von Härte, Gefühllosigkeit und der Dominanz des Stärkeren – um nur einige zu nennen.

Toxische Femininität? Keine gute Idee

Analog dazu ließe sich ohne Schwierigkeiten formulieren, dass toxische Weiblichkeit sich auf Ohnmacht, Gewalterfahrung, sexuelle Hingabe, Gefallsucht, Befriedung und Kontrollverlust fixiert, um Frausein zu realisieren. Auch hierfür gibt es zahlreiche Beispiele – von Ratgebern darüber, wie frau sich einen reichen Mann angelt, über "Fifty Shades of Grey" bis hin zu Hungertorturen, Selbstaufgabe und Sätzen wie "Sonst ist er nicht so, er kann auch ganz anders".

Trotzdem ist die Verwendung des Terminus "toxische Femininität" keine gute Idee.

Die Vorstellung, eine Gehaltserhöhung auf jeden Fall verdient zu haben, und die Vorstellung, auf keinen Fall nach einer Gehaltserhöhung fragen zu dürfen, sind eine wie die andere limitierend. Nur hat der eine am Ende mehr Geld als die andere in der Tasche. Oder, um ein schärferes Beispiel zu wählen: Weiblichkeitsvorstellungen dafür zu kritisieren, dass sie sich durch oberflächliche Gefallsucht hervortun, sollte einen anderen Stellenwert haben als die Kritik an Männlichkeitsvorstellungen, die von Frauen immer und überall eine gefällige Oberfläche verlangen.

Die Autorin Lindy West schrieb einmal, dass Feminismus für Frauen in gewisser Weise die allmähliche Realisierung der Tatsache sei, dass alles, was sie lieben, sie hasst.

Akkurate Beschreibung

Für diese Art Hassliebe wäre "toxisch" durchaus ein passender Begriff. Tatsächlich bezeichnet dieser Begriff jedoch schon den Umstand, dass Männer unter dem Einfluss gewisser Männlichkeitsvorstellungen das, was sie lieben oder begehren, so behandeln, als würden sie es hassen. Dies giftig oder vergiftet zu nennen mag hart formuliert sein. Sehr hart sogar. Es ist aber auch eine ziemlich akkurate Beschreibung des Problems. Inklusive der Option auf ein Gegenmittel. (Nils Pickert, 4.8.2019)