In dem Zelt am Strand von Menekse in Istanbul lebt eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien.

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In Sachen Menschenrechte, Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit gab es in den vergangenen Jahren aus der Türkei wenig Positives zu berichten. Anerkennung aber bekam dem Land stets für seinen Umgang mit vier Millionen Flüchtlingen – rund 3,6 Millionen davon aus dem Bürgerkriegsland Syrien. Zwar verlief deren Integration und Eingliederung in den türkischen Arbeitsmarkt nicht immer reibungslos. Doch zu fremdenfeindlichen Übergriffen kam es höchstens vereinzelt. Und wenn, dann gab es dafür konkrete Erklärungen wie explodierende Mieten.

Wahlkampfthema

Jetzt aber hat sich die Stimmung gedreht. Rund 90 Prozent der Türken sehen einer Umfrage zufolge die Flüchtlinge als großes Problem an. Der neue Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu machte die Migranten bereits zu einem Wahlkampfthema und trieb so die AKP-Regierung vor sich her. Die reagiert jetzt. Bis zum 20. August müssen alle Flüchtlinge in die Stadt zurückkehren, in der sie registriert wurden. Wer keine Registrierung vorweisen kann, sprich illegal im Land ist, muss nach Syrien zurückkehren.

In anderen Städten registriert

In den vergangenen Wochen sollen in Istanbul 15.000 Migranten ohne Papiere aufgegriffen worden sein. Darunter seien 2630 Syrer, teilte das Istanbuler Gouverneursamt am Donnerstag mit.

Rund eine halbe Million Syrer leben in der 16-Millionen-Stadt am Bosporus – so weit die offiziellen Zahlen. Schätzungen aber gehen davon aus, dass sich noch einmal so viele illegal in Istanbul aufhalten. Viele Syrer sind in kleineren Städten des Landes registriert. Da es dort aber kaum Arbeit für sie gibt, zieht es sie in das wirtschaftsstarke Istanbul.

Das war so lange kein großes Problem, wie die türkische Wirtschaft gut lief. Doch mit der Rezession wird der Kampf um Arbeitsplätze härter. Viele Unternehmer beschäftigen Flüchtlinge illegal und unterbieten so den türkischen Mindestlohn.

Seit Tagen bereits macht die Istanbuler Polizei Stichproben und kontrolliert die Personalien von Angestellten in syrischen Restaurants oder Textilfabriken. Unternehmen, die illegal Flüchtlinge beschäftigen, müssen mit Strafen rechnen. Menschenrechtsgruppen protestieren gegen das Vorgehen. Angeblich sollen Hunderte von Syrern in die Kriegsregion Idlib in Nordwestsyrien gebracht worden seien. Ausgerechnet von dort versuchen seit Tagen Syrer vor Kampfhandlungen Richtung Türkei zu fliehen, heißt es in einem Bericht der Vereinten Nationen.

Grenze geschlossen

Zwischen 2011 und 2016 verfolgte Ankara eine Politik der offenen Tür gegenüber den Syrern. Mit dem Flüchtlingsdeal mit der EU wurde auch die türkisch-syrische Grenze geschlossen. Seitdem sind nur noch illegale Grenzübertritte möglich.

Durch das harsche Vorgehen der türkischen Behörden könnte auch der Migrationsdruck nach Europa wieder steigen. Und das wiederum dürfte der Regierung in Ankara in die Hände spielen. Präsident Erdogan soll Anfang der Woche nämlich Mitarbeiter der Regierung dazu angehalten haben, den Prozess der Visa-Liberalisierung mit der EU zu beschleunigen.

Deal mit der EU

Eigentlich war die visumsfreie Einreise für türkische Bürger in den Schengenraum ein Teil des Flüchtlingsdeals. Da Ankara aber anders als vereinbart seine Terrorismusgesetze nicht an jene der EU anpasste, kam es dazu nie. Die türkischen Terrorismusgesetze ermöglichten in den vergangenen Jahren die Inhaftierung von tausenden Verdächtigen. (Philipp Mattheis aus Istanbul, 1.8.2019)