Die nächste Regierung muss mittels Personalaufstockung dringend dafür sorgen, dass die Arbeitsbelastung in der Justiz sinkt.

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"Im System sparen" und "den Staat wie ein Unternehmen führen" sind beliebte Stehsätze vornehmlich konservativer Politikerinnen und Politiker, die bei Teilen der Wählerschaft mit Genugtuung aufgenommen werden. "Ja, genau! Das faule Beamtenpack, das den ganzen Tag nur Däumchen dreht, wenn es nicht mit bürokratischen Schikanen nervt! Warum sollen wir die mit unseren Steuern durchfüttern?", könnte man deren Ansichten zusammenfassen. Das Problem dabei: Ein Staat lässt sich nicht wie ein Unternehmen führen, und wenn im System gespart wird, leiden fast immer die Menschen darunter.

Aktuelles Beispiel ist die Situation in der Justiz. Das Ressort ist zwar das einzige, das sich aufgrund der Strafen und Gebühren selbst finanziert, dennoch wurde die Personalschraube seit Jahren immer heftiger angezogen. Die Folgen sind im Alltag spürbar: Wer beispielsweise einen Untersuchungshäftling in der Wiener Justizanstalt Josefstadt besuchen will, hat weniger Zeit, sich eine entsprechende Erlaubnis im Servicecenter des Landesgerichts für Strafsachen zu besorgen, da die Öffnungszeiten reduziert wurden.

In den Kanzleien stapeln sich die Aktenberge. Für die rund 7200 Strafverfahren, die im Grauen Haus jährlich verhandelt werden, ist es schwierig, Schriftführerinnen und Schriftführer zu bekommen. 3000 Telefonkontakte hat die Zentrale täglich, wer dann bei einem Anruf in der Warteschleife hängt, merkt, dass "das System" auch ihn betrifft. An den Bezirksgerichten, mit denen die Bevölkerung üblicherweise eher in Kontakt kommt, da dort auch Grundbucheintragungen, Scheidungen und Erbschaften behandelt werden, ist die Situation nicht besser.

Vertrauen in eine funktionierende Rechtsprechung

Nun gut, könnte man sagen, wenn der Staat sparen muss, müssen halt die Beamten ein wenig mehr arbeiten und die Bürger ein wenig länger warten. Das ist aber gerade im Justizwesen eine heikle Rechnung, denn das Vertrauen in eine funktionierende Rechtsprechung ist eine der wesentlichen Säulen des Gemeinwesens. Und es geht längst nicht mehr um "ein wenig": Ein langdienender Wiener Richter rechnet beispielsweise vor, dass er jährlich mehr als 200 Urteile schreibe anstelle der 150, die es laut internen Berechnungen sein müssten.

Verbessern wird sich die Situation in nächster Zeit eher nicht – im Gegenteil. Denn wenn die Aufnahmewelle bei der Polizei netto zu mehr Polizistinnen und Polizisten führt, ist absehbar, dass auch die Zahl der Anzeigen, die zunächst von den Staatsanwaltschaften und dann vielleicht von den Gerichten bearbeitet werden müssen, steigen wird. Interessanterweise scheint den politischen Entscheidungsträgern dieser Zusammenhang nicht aufzufallen. Womit sich die Geschichte wiederholt: Vor der 2008 in Kraft getretenen Reform der Strafprozessordnung haben Insider wiederholt vor einer Überlastung der Anklagebehörden gewarnt, rechtzeitig um mehr Personal hat sich niemand gekümmert. Die Folgen damals wie heute: Die Personalfluktuation steigt, was die Probleme verschlimmert.

Keine Frage: Natürlich gibt es auch in der Justizverwaltung Verbesserungspotenzial, beispielsweise im IT-Bereich. Aber die nächste Regierung muss mittels Personalaufstockung dringend dafür sorgen, dass die Arbeitsbelastung sinkt. Denn vernünftige Urteile sind nur von Gerichten zu erwarten, die nicht an allen Ecken und Enden krachen. (Michael Möseneder, 1.8.2019)