Kennen Sie den? Springt ein Mann vom Empire State Building – und während er am zweiten Stock vorbeirauscht, denkt er: "Bis jetzt ist alles gutgegangen!" Der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber erzählt diesen Witz gerne, um zu beschreiben, wie sich der Mensch in Bezug auf die Klimakrise verhält: Die Erkenntnis ihrer Dringlichkeit stellt sich bei vielen erst ein, wenn es zu spät ist. Wir merken lange wenig, verdrängen viel, der Aufprall ist zerstörerisch: Kipppunkte, galoppierender Treibhauseffekt, steigender Meeresspiegel, Heißzeit. All das, was die Klimaforschung seit Jahrzehnten ankündigt und im Detail vorausskizziert hat. Keiner kann erstaunt tun und sagen, man habe es nicht kommen sehen.

Die Vereinten Nationen berechneten der Menschheit gerade noch knackige zwölf Jahre, um die schlimmsten Verwüstungen des Planeten zu verhindern. Verwüstungen, die relevante Teile der Erde unbewohnbar machen könnten – mit allen humanitären und sozialen, mit allen mentalen Folgen.

Gut wütend

Den ehemaligen deutschen Journalisten, Autor und Sprachkritiker Wolf Schneider empört das Nichtstun angesichts der Klimakatastrophe – und das Bild, das der Mensch dabei abgibt. Schneider ist mittlerweile 94, hat vier Kinder, zehn Enkel und vier Urenkel. Ihnen widmet er sein Büchlein Denkt endlich an die Enkel!. Er sieht es als "letzte Warnung, bevor alles zu spät ist". Schneider, zuletzt mit seinem Eifer gegen geschlechtergerechte Sprache eher unangenehm aufgefallen, zeigt sich außer sich: Die Menschheit stehe vor einer kaum noch zu vermeidenden und selbstgezimmerten Katastrophe – und alle schauen zu. Wir schwelgen im Luxus bis zum Untergang, beten weiter das Auto an, huldigen dem Wachstum, wo längst radikale Reduktion fällig wäre. Verschwendung ist und bleibt unsere Leitkultur, so Schneider.

Als gäb's kein Morgen

Der gute Mann wird wohl vieles, was da dräut, nicht mehr am eigenen Leib erleben. Das dürfte ihn regelrecht entfesseln. Man kennt das von Persönlichkeiten wie Stéphane Hessel oder Jean Ziegler – das Alter nährt den Mut zur Radikalität. Dass ein Teil der Menschheit auf Kosten anderer über seine Verhältnisse lebt; dass wir global zu viele sind, als dass individuelles Verhalten viel ausrichten könnte; dass wir unsereins unterjochen und uns selbst zerstören – all das beschreibt Schneider in pointierten Sätzen.

Nein, man erfährt nicht viel Neues in diesem Buch, aber darum geht es auch nicht: Schneiders Manifest ist in seiner Tonalität disruptiv – um eines dieser angesagten Wörter zu verwenden, die Schneider nie verwenden würde. Er muss keine Lösung aufzeigen – was zu tun wäre, betet die Wissenschaft seit langem detailgenau vor. Er setzt auf die finale "Kraft des Entsetzens" – und wünscht Greta Thunberg den Nobelpreis. (Lisa Mayr, 2.8.2019)


Wolf Schneider: Denkt endlich an die Enkel! Eine letzte Warnung, bevor es zu spät ist. 8 Euro / 80 Seiten, Rowohlt, Hamburg 2019
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