Kassa- und Bargeldlos?

Blühender Onlinehandel und ungeduldige Kunden in den Geschäften, die bloß keine Zeit verlieren wollen: Der stationäre Handel verzeichnet kontinuierliche Einbußen und steuert seit Jahren mit technologischer Innovation dagegen. Bargeldlos zahlen, selbst die Ware scannen oder dank App ganz ohne zeitraubenden Zahlungsvorgang aus dem Geschäft spazieren. Was davon sich durchsetzt, dürfte nicht zuletzt von der Bereitschaft der Kunden abhängen, ihre ganz persönlichen Daten den Handelsketten zu überlassen.

In den USA, wo Onlineriese Amazon mit dem kassalosen Supermarkt in den stationären Handel eingestiegen ist, regt sich Kritik: Das futuristische Konzept würde etwa jene Menschen ausgrenzen, die keine Kreditkarte besitzen. Zwei US-Bundesstaaten haben Einzelhändler und Dienstleister jüngst per Gesetz verpflichtet, Bargeld als Zahlungsmittel zu akzeptieren.

Foto: Deutschland/Philips Lighting

Scan and go: Zahlen ohne Fließband

Die meisten von uns konnten schon einmal einen Blick in die Zukunft des stationären Handels werfen: Seit einigen Jahren gibt es österreichweit in knapp 400 Merkur- und Billa-Filialen Selbstbedienungskassen. Je nach Standort der Filiale kommen sie derzeit noch zusätzlich zu den regulären Kassen zum Einsatz. Faktoren, die bei der Auswahl der Standorte eine Rolle spielen: Ist das Zielpublikum der Filiale eher jung? Und zahlen die meisten dieser Kundinnen und Kunden dort schon jetzt bargeldlos?

Der US-Marktführer Walmart testet derzeit zusätzlich zu zehntausenden Selbstbedienungskassen ein weiteres System – genannt Check out with me: Das Kassapersonal sitzt dabei nicht im Bereich des Geschäftsausgangs, es bewegt sich, mit Smartphones und Bluetooth-Druckern ausgestattet, permanent durch die Filiale. Die Kunden können jederzeit und überall zahlen und müssen nicht in der Schlange warten.

Video: Selbstscankassen – Ich mach's mir nicht mehr selber

Foto: MERKUR/Rewe

Handyscan und Zahlung am Regal

Ganz ohne stationäre Kassengeräte kommen mobile Scan-and-go-Systeme aus. Hier setzen die Supermärkte und Händler auf Kunden, die bereit sind, vorab eine App auf ihrem Smartphone zu installieren, sich zu registrieren und ihre Kreditkartennummer bekanntzugeben. Bezahlt wird dann direkt vor dem Regal. Der Kunde scannt das gewünschte Produkt selbst ein und kann danach gleich aus dem Geschäft spazieren.

In Österreich hat die Elektronikhandelskette Saturn das System in einem Pop-up-Store mit begrenztem Sortiment in Innsbruck getestet. Dabei mussten die Kunden die Produkte noch immer an einem Schalter beim Filialenausgang entsichern lassen. Ob Saturn Österreich das kassalose Zahlen irgendwann in regulären Filialen einführen wird, ist laut Konzernauskunft noch nicht entschieden. In Deutschland laufen jedenfalls weitere Versuche in Filialen in Berlin und Hamburg.

Foto: Fraunhofer IPMS / CTR Partner

"Just walk out": Kein Scannen, kein Warten

Völlig ohne Bezahlung vor Ort lässt sich in den Supermarktfilialen des Onlineriesen Amazon einkaufen. In den Amazon Go genannten Läden setzt das Unternehmen auf Sensoren, Kameras und maschinelles Lernen. Ein Amazon-Account und ein QR-Code gewähren Einlass ins Geschäft. Die Kunden holen die gewünschten Produkte aus dem Regal und können dann das Geschäft einfach verlassen. Der Betrag wird anschließend vom Amazon-Konto abgebucht. Einzige Ausnahme: der Kauf von Alkohol.

In rund einem Dutzend Filialen in vier US-Städten hat Amazon das Konzept schon umgesetzt. Die erste Filiale außerhalb der USA eröffnet demnächst in London. Nach Amazon-Vorbild will die Schweizer Einzelhandelskette Valora Ende 2019 das "Mitnehmen und wieder gehen"-System einführen. Zielgruppe seien Pendler und Kunden an Bahnhöfen, die es eilig haben und nur wenige Produkte kaufen wollen.

Erfahrungsbericht: Amazon Go ausprobiert: Einkaufen unter Totalüberwachung

Foto: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Wird der Verkäufer überflüssig?

Wird der Einzelhandel in Zukunft gänzlich ohne menschliches Personal auskommen? Derzeit sind Regalschlichter, Security-Mitarbeiter oder Kassenbedienstete (etwa für die Ausweiskontrolle beim Kauf von Produkten mit Altersbeschränkung) unverzichtbar. Und auch bei den Selbstbedienungskassen benötigt man nach wie vor Mitarbeiter, die den Kunden die Funktionsweise der Geräte erklären. "Für die Rewe-Group in Österreich ist klar, dass der stationäre Handel nie ohne Mitarbeiter stattfinden wird", heißt es auf STANDARD-Anfrage von der Unternehmensgruppe. Experimentierfreudig gibt man sich trotzdem: In drei Merkur-Filialen gibt es neue "Mitarbeiter" – kleine Roboter namens Pepper (im Bild). Sie begrüßen die Kunden, tanzen, machen Selfies, erzählen Witze und informieren über Rabatte. Dass der Roboter eines Tages die Kundenbedienung übernimmt, ist aber laut Rewe ausgeschlossen. (os, 5.8.2019)

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