Seit 2007 ist Grigory Sokolov regelmäßig Gast in Salzburg, mit einem Aussetzer 2012. Seither bewegen Begegnungen mit dem statuarisch auftretenden und automatenhaft knapp sich verbeugenden Meister. Es sind nicht einfach Treffen mit einem "Star" ohne Allüren. Begegnungen mit Sokolov führen in lichte Höhen der Vollendung.

Ob er nun Skrjabin spielt wie 2007, Chopin wie 2014 oder immer wieder Bach, Mozart, Schubert oder Schumann: Es gibt nichts mehr zu feilen. Es gilt höchstens da und dort eine andere Stelle zu polieren, damit jeweils andere Facetten aufstrahlen.

Der Vielschichtige

Die vielfarbigen Funken, die Sokolov – wir sind in der Gegenwart – aus den elf Bagatellen op. 119 von Ludwig van Beethoven zu schlagen wusste, waren freilich so zündend wie eine Feuerwerksbatterie mit elf unterschiedlichen Effektzellen voll frischen Schwarzpulvers. Nix Sakralraum!

Vielschichtige Welten wusste Sokolov mit jeder einzelnen dieser teils kurzen Miniaturen zu erschließen. Liedhaft, bockig, trillernd (auch technische Überlegungen scheinen hinter einzelnen Bagatellen zu stehen, die dennoch keine Etüden sind), harmonisch schlicht oder regenbogenfarben. Und die ganze Bandbreite menschlicher Emotion lebte auf unter der knappen Oberfläche.

Der Gehaltvolle

Beethovens frühe Sonate für Klavier Nr. 3 C-Dur op. 2/3 – monumental in der Anlage, aber bis auf die markanten Ausbrüche im Adagio wenig tief im Gehalt – war dann tatsächlich eine Art liturgische Übung. Da hilft auch ein Sokolov nicht wirklich.

Umso gehaltvoller war der Höhepunkt des Programms: Mit Johannes Brahms’ Klavierstücken op. 118 und op. 119 gilt es – für Interpret und Zuhörer – ein Maximum an Ausdruck und Tiefe herauszuholen aus einem scheinbaren Minimum an Bewegung, Abwechslung und Farbe (darum werden sie auch kaum gespielt). Die meisten heißen Intermezzo, einige auch Ballade oder Romanze.

Der Grandiose

Intermezzo zwischen was eigentlich? Zwischen den kurzen Momenten des Atemholens, bevor Sokolov in den nächsten Mikrokosmos höchster Intensität und Spannung abtaucht. Herrlich bunt und – wie üblich – eine weitere Konzerthälfte füllend Sokolovs Zugabenblock: Schuberts zweites der vier Impromptus D 935. Chopins Mazurka h-Moll op. 30 Nr. 2. Rameaus Les Sauvages. Noch ein Brahms, also das Intermezzo op. 117/2, dann Rachmaninows Prélude op. 32 Nr. 2 und Schuberts Allegretto D 915 c-Moll.

Was will man mehr? Nur wieder Sokolov. (Heidemarie Klabacher, 2.8.2019)