Politiker haben ein Problem. Die Wählerschaft erwartet sich von ihnen Glaubwürdigkeit und Authentizität. Gleichzeitig müssen sie sich jeden Satz genau überlegen, heikle Festlegungen vermeiden und manchmal gegen die eigene Überzeugung argumentieren – also das Gegenteil von Offenheit und Ehrlichkeit.

Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist, sich gute Schauspieler zum Vorbild zu nehmen: Politiker müssen eine vorbereitete Rolle mit so viel Natürlichkeit verkörpern, dass das Publikum das Spiel dahinter nicht erkennt oder vergisst. Ob man es mag oder nicht: In einer Demokratie ist gutes Schauspiel ein entscheidendes Erfolgsrezept. Der Begriff "politische Bühne" ist mehr als eine Metapher – und nicht nur für geborene Selbstdarsteller wie Boris Johnson. Doch politisches Schauspiel ist eine hohe Kunst, die nur wenige beherrschen.

Viel Anschauungsmaterial in ORF-Interviews

Österreichs Innenpolitik bietet derzeit dafür viel Anschauungsmaterial, vor allem in ORF-Interviews. Unter den Spitzenkandidaten stechen Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger und Grünen-Chef Werner Kogler als darstellerische Naturtalente hervor. Ihnen nimmt man fast jede Aussage als ehrlich ab. Doch gerade diese Stärke schränkt ihre Wandlungsfähigkeit ein. Sollten sie sich in einer anderen Rolle wiederfinden, etwa als Regierungsmitglieder, dann könnten sie sich damit schwertun.

Peter Pilz ist kein besonders guter Schauspieler. Mit seiner Eloquenz ist er ständig darum bemüht, seinen Zynismus zu verbergen, doch dieser bricht immer wieder durch. Auch das dämpft die Attraktivität seiner Liste Jetzt.

Untalentierte Schauspielschülerin

Pamela Rendi-Wagner wirkt wie eine untalentierte Schauspielschülerin, die auswendig gelernte Texte abspult. Auch das hat seinen Wert. Wer die SPÖ-Chefin beobachtet, wie sie sich quält, wenn sie etwa nach Hans Peter Doskozil oder Christian Kern gefragt wird, dann mag man sich denken: "Mir würde es an ihrer Stelle genauso gehen." Gerade ihre Unbeholfenheit verschafft Rendi-Wagner eine gewisse Glaubwürdigkeit.

Norbert Hofer ist im Vergleich dazu ein grandioser Darsteller. Sein Problem ist ein anderes: Die Rolle als Softie, die der FPÖ-Chef so überzeugend spielt, passt so gar nicht zum Rüpelimage seiner Partei. Wie bei Christoph Waltz wartet das Publikum ständig darauf, dass sein wahres diabolisches Ich hervorbricht – und dies geschieht gelegentlich auch.

Stets druckreif und überzeugend sprechen

Die interessanteste Figur auf der innenpolitischen Bühne ist und bleibt Sebastian Kurz. Der ÖVP-Chef kann seinen Aufstieg vor allem seiner Fähigkeit verdanken, stets druckreif und dennoch so überzeugend zu sprechen, als ob ihm seine Sätze gerade eingefallen wären. Drehbuch und Inszenierung dahinter sind fast nicht zu erkennen. Kurz ist in vieler Hinsicht eine politische Kunstfigur, aber er wirkt echt.

Doch seit dem Verlust des Kanzleramts zeigt bei Kurz die Illusion immer öfter Sprünge, etwa wenn er sich als Opfer grauslicher Wahlkampftricks gebärdet, sich von seinem einstigen und wohl auch zukünftigen Koalitionspartner allzu vehement distanziert oder ohne Reforminhalte den großen Veränderer mimt.

Die neue Rolle fällt selbst einem Schauspielstar wie Kurz schwer. Was geschieht, wenn Wähler erkennen, dass hinter dem ausgefeilten Spektakel ein Politiker mit wenig Profil steht? Das könnte zu einer entscheidenden Frage des Wahlkampfs werden. (Eric Frey, 3.8.2019)

Drehbuch und Inszenierung hinter Sebastian Kurz sind fast nicht zu erkennen.
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