Die Erde stirbt. Und was machen wir? Wir greifen im Supermarkt zu den Biotomaten. Manche sagen beim Bestellen im Lokal dazu, dass sie keinen Plastikstrohhalm brauchen. Viele lassen sich Solarpanele auf das Einfamilienhaus montieren. Andere kompensieren den CO2-Ausstoß ihrer Thailand-Reise. Und der eine oder andere lässt die Avocado im Salat auch einmal weg, schließlich kommt sie von weit her und verbraucht viel Wasser. Das ist mehr als zumutbar, das ist sogar ziemlich bequem – ein günstiger Preis für ein gutes Gewissen.

Radikale Systemumstellung nötig

Die Verantwortungslosen unter den Politikern bewerben genau diese kleinen guten Dinge, die wirklich jeder tun kann, um den Planeten vor der Verwüstung zu retten. Die unangenehmen politischen Maßnahmen, die ganz dringend getroffen werden müssten, spart man dafür aus: Jeder kann schließlich etwas beitragen!

Das ist nicht nur eindeutig zu wenig, es lässt uns auch ausblenden, was wirklich notwendig ist: eine radikale Systemumstellung. Das Einfamilienhaus mit eigener Zufahrtsstraße und dem Auto vor der Tür ist kein Zukunftskonzept.

Das neue Landleben kann nur funktionieren, wenn es auch attraktiv ist.
Foto: Christian Fischer

Die Zivilgesellschaft ist angesichts des Versagens der Politik mehr denn je gefordert, neue Ideen zu entwickeln. Wie können wir leben, ohne immer mehr Boden, immer mehr Rohstoffe, immer mehr Wasser zu verbrauchen? Ein modernes Dorf, wie es junge Leute nun im niederösterreichischen Gutenstein aufziehen, ist nicht notwendigerweise der Weisheit letzter Schluss. Aber es hat das Potenzial, Impulsgeber für neue Ideen zu werden. Angesichts der drohenden Katastrophe ist kein Einfall zu ausgefallen, kein Konzept zu gewagt.

Dachgeschoßwohnung mit Klimaanlage

Das Leben in der Stadt ist zwar in vielerlei Hinsicht vorbildhaft: wenig Flächenverbrauch, gute Möglichkeiten für Öffis und Radverkehr. Aber erstens hat auch der Ballungsraum seine Probleme – Stichwort Dachgeschoßwohnung mit Klimaanlage. Zweitens werden nie alle Menschen in Metropolen leben können, schon gar nicht wollen. Neben der Weiterentwicklung unserer Städte ist deshalb eine der zentralen Zukunftsfragen, wie wir das Leben auf dem Land, das sich so viele wünschen, nachhaltig gestalten können. Die ersehnte Nähe zur Natur darf nicht auf deren eigene Kosten gehen.

Gleichzeitig kann das neue Landleben nur funktionieren, wenn es auch attraktiv ist: Menschen soll es gut gehen. Es braucht Komfort, Genuss, Kultur- und Freizeitangebote – und zwar nicht erst in der nächsten Stadt, sondern vor Ort. Um das zu verwirklichen, braucht es den Mut und das Engagement von Pionieren, die bereit sind, das neue Leben einfach einmal auszuprobieren. Auch auf die Gefahr hin, dass es nicht beim ersten Mal klappt.

Das alles heißt nicht, dass die Politik hier aus der Verantwortung entlassen werden soll – im Gegenteil. Sie muss Räume und Möglichkeiten für nachhaltige Erneuerung schaffen – und auch mit Investitionen jene Innovationen befeuern, die sich mit einer neuen Art zu leben befassen. (Sebastian Fellner, 2.8.2019)