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Kleine Fehler, große Auswirkungen.

Foto: Steve Marcus / REUTERS

Ortschaften, die sehr ähnlich heißen, E-Mail-Adressen, die bis auf ein Zeichen ident sind: Schon kleine Fehler können den digitalen Alltag gehörig durcheinanderebringen. Und manchmal können sie auch das eigene Leben grundlegend verändern, wie nun eine Reportage des britischen Guardian aufzeigt.

Eine Irrfahrt

Es war ein Tag im Mai 2018 als sich der 81-Jährige Luigi Rimonti zu einer Reise aufmachte: Von seinem Wohnort im britischen Gateshead machte er sich mit seinem Sportwagen auf nach Rom. Mit der Hilfe moderner Technik könne das nicht so schwer sein, so die Überzeugung des Rentners. Das Problem dabei: Selbst war er nicht sonderlich talentiert im Umgang mit solchen Geräten, also ließ er sich auf der Fähre nach Amsterdam von jemandem dabei helfen, den Zielort ins Navigationsgerät einzugeben. Im Laufe des folgenden Tages sollte Rimonti auch gute Fortschritte auf seiner Reise machen, hunderte Kilometer legte er zurück. Doch dann kann etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Das Navi informierte ihn darüber, dass er schon bald an seinem Ziel angekommen sei – das aber in einer Gegend, die so gar nicht nach Italien aussah. Also stieg er kurz aus, vergaß die Handbremse anzuziehen, und das Auto rollte davon, er wurde mitgeschliffen. Auf seinem Weg wurde es schlussendlich von einem Straßenschild gestoppt, und da wurde schnell klar, was passiert war: Rimonti war zwar in Rom gelandet – aber in der gleichnamigen Ortschaft in Mecklenburg-Vorpommern, und nicht in jener etwas berühmteren Stadt in Italien.

Der Kinderpornovorwurf

Doch Tippfehler können noch wesentlich unerfreulichere Konsequenzen haben: Als Nigel Lang aus Sheffield an einem Tag im Jahr 2011 nach Haus kam, informierte ihn seine Frau darüber, dass die Polizei vor kurzem dagewesen sei, und seinen Computer beschlagnahmt habe. Ihm werde der Besitz von kinderpornografischem Material vorgeworfen. Lang wurde von dem Vorwurf vollkommen unvorbereitet getroffen, er ging zur Polizei und durfte zunächst die Nacht in einer Zelle verbringen. Seiner Frau wurde zwischenzeitlich mitgeteilt, dass sie ihn nicht mehr ins Haus lassen darf, da ihr sonst das gemeinsame Kind weggenommen wird. Drei Wochen später war klar, dass auf seinem Computer keinerlei Spuren entsprechender Materialien zu finden waren, also bekam er die Geräte wieder zurück, das Verfahren wurde eingestellt. Was aber blieb war der Zweifel, und zwar natürlich auch der Zweifel seines sozialen Umfelds, das von der Geschichte natürlich längst gehört hatte. Erst drei Jahre später erhielt Lang einen Brief, der Aufklärung verschaffte. Bei einer Ermittlung in Fragen Kinderpornographie sei eine IP-Adresse falsch abgeschrieben worden. Die des eigentlichen Täters wurde um eine "1" am Schluss ergänzt, was zu Lang führt. Man sei untröstlich über diesen Fehler, versicherten die zuständigen Behörden. Lang hat dieser Vorwurf und die damit einhergehenden Erfahrung aber als Person gebrochen. Der Schadenersatz in fünfstelliger Höhe, der ihm später zuerkannt wurde, änderte daran nicht mehr viel.

Die falsche Firma

Im Jahr 2009 unterlief einem Beamten der britischen Behörde "Companies House" ein verhängnisvoller Fehler: Er sollte eigentlich den Besitzstand einer Firma namens "Taylor & Son" abwickeln. Stattdessen startete er diesen Prozess aber für das Unternehmen "Taylor & Sons", das bis zu diesem Punkt keinerlei finanzielle Probleme hatte. Nun führt die Liquidierung einer Firma aber zu zahlreichen Warninformationen an Geschäftspartner, die verwundert feststellen mussten, dass "Taylor & Sons" offenbar in finanziellen Problemen war. Die Kunden wurden dadurch verschreckt und zogen sich zurück, was folgte war der reale Niedergang Unternehmens. Der Eigentümer konnte sich dabei schadlos halten, er bekam nach einer Klage acht Millionen Pfund Entschädigung zugesprochen, und konnte damit ein neues Unternehmen gründen. Wirklich unerfreulich war dies vor allem für die Angestellten von "Taylor & Sons", die sich infolge schwer taten, noch einmal einen Job zu bekommen.

Viele Vorfälle

In seinen Recherchen ist Guardian-Autor Tom Lamont auf zahlreiche ähnliche Fälle gestoßen, die zeigen wie fehleranfällig die digitale Welt – und unsere Interaktion mit ihr – ist. So reiste etwa im März 2015 ein Passagierflugzeug nach Sydney statt nach Kuala Lumpur nachdem der Autopilot mit den falschen Koordinaten gefüttert wurde – eine Kommazahl war verschoben. Ebenfalls in die weltweiten Schlagzeilen schaffte es ein Vorfall im Jänner 2018, bei dem in Hawaii ein Raketenalarm ausgelöst wurde. Grund dafür war ein schlecht gestaltetes User Interface, bei dem sich der Zuständige verklickt hatte und statt einem Test einen echten Alarm auslöste. Und für einige Verblüffung sorgten erst vor wenigen Monate die Beteuerungen mancher EU-Abgeordneter, dass sie eigentlich gegen die neue Copyright-Form stimmen wollten, aber sich verdrückt hätten – womit die knappe Mehrheit gesichert wurde.

Die unerwartete Romanze

Aber es gibt auch erfreulichere Geschichten. Als sich die mittlerweile 51-Jährige Kasey Berg 2006 ein neues Nokia-Handy kaufte, tippte sie eifrig all ihre Kontakte ein, vertippte sich aber bei einem Kontakt, eine "0" wurde zu einer "6". Ein Fehler, der ihr Leben verändern sollte. Als sie einen alten Bekannten ein paar Jahre später auf ein Wiedersehen einlud, meldete sich ein ganz anderer Mann zurück. Es entspann sich eine angeregte Diskussion, die schlussendlich zu einer Romanze führen sollte. Im Jahr 2015 haben die beiden nicht nur geheiratet, er hat ihr auch eine Niere gespendet, die sie zum Weiterleben benötigte.

Happy End

Und auch bei Luigi Rimonti ist aus seiner unfreiwilligen Exkursion in den Nordosten Deutschlands zumindest eine gute Geschichte geworden, die in der Familie wohl noch länger erzählt wird. Nach dem erwähnten Unfall war sein Auto nämlich ein Totalschaden, er selbst musste kurzfristig ins Spital. Seine Familie informierte er nur kurz darüber, dass es einen Unfall gegeben habe, und dass er noch am Leben sei. Anschließend hing er auf. Sein Stolz war so verletzt worden, dass er sich tagelang nicht mehr meldete, und im deutschen Rom verblieb. Eines Tages stand er dann vor der Tür seiner Familie und wollte nicht so recht verstehen, warum diese so um ihn besorgt waren. (red, 4.8.2019)