Nachbarn brachten nach der Schießerei in El Paso Angehörigen und Helfern Wasser.

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Trauer in El Paso.

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Zu den größeren Erfolgen, die Behörden in letzter Zeit gegen den Terrorismus erzielt haben, zählt das Ausfiltern von Nachrichten des sogenannten "Islamischen Staats" auf Sozialen Medien. Der dafür zuständige Twitter-Algorithmus, hieß es in einem Artikel der Plattform "Vice" vom April, könnte auch gegen rassistische und rechtsextreme Inhalte verwendet werden. Allerdings geschieht dies nicht. Zuviele Einträge republikanischer Politiker in den USA, argumentiert die Plattform, würden dann auch versehentlich mitgelöscht.

Dass der mehrere Monate alte Text am Sonntag plötzlich wieder eifrig im Netz geteilt wurde, hat mit dem Massaker zu tun, das ein 21-jähriger Texaner am Samstag in einem Einkaufszentrum in El Paso, in Sichtweite der mexikanischen Grenze, anrichtete. Nur 19 Minuten vor dem ersten Notruf war online ein "Manifest" erschienen, das dem mutmaßlichen Täter zugeschrieben wird. Und auch wer dem Text keine breitere Öffentlichkeit bieten will, wird konstatieren müssen, dass sich das Papier wie ein Amalgam aus dem "Worst Of" rassistischer Verschwörungstheorien und den Talking Points angeblich respektabler rechtspopulistischer Politiker liest.

Rassistische Botschaften finden Empfänger

Die infame Erfindung des "großen Austausches", mit der auch österreichische Politiker schon hausieren gegangen sind, die zuletzt aus dem Mund des US-Präsidenten gehörte Aufforderung, vermeintlich Fremde "dorthin zurückzuschicken, wo sie hergekommen sind", die Sorge "mein geliebtes Texas" könne wegen der Zuwanderung zu einer "Hochburg der Demokraten werden" – alle finden sich in der Hassbotschaft. Es gelte daher, die "Latino-Invasion" zu stoppen, so die Conclusio des mutmaßlichen Täters, der auch damit fast wörtlich Äußerungen Donald Trumps zitiert.

Wie schon nach den blutigen Terroranschlägen auf Moscheen in Christchurch, auf eine Synagoge in Pittsburgh, wie nach den Rohrbomben des Trump-Fans Caesar Sayoc, nach dem Mord an Walter Lübcke in Deutschland, nach dem rassistischen Mordversuch von Wächtersbach – um nur wenige Beispiele aus den vergangenen Monaten zu nennen – werden die Distanzierungen von der Methode auch diesmal nicht lange auf sich warten lassen. Aber das "Aufzeigen von Misständen", die "Kritik an der ungehinderten Zuwanderung": Das alles werde doch wohl bitte auch weiterhin noch sagen dürfen, wer dabei nicht zu Gewalt aufrufe.

Um es unmissverständlich festzuhalten: natürlich darf man. Es gilt die Meinungsfreiheit. Aber fast alles sagen zu dürfen, heißt nicht, das auch tun zu müssen. Politiker stehen in Verantwortung. Denn es gilt, was ohnehin jeder längst weiß: Worte haben Folgen, schmissige Formulierungen nisten sich im Bewusstsein ein, und wer sein politisches (und persönliches) Geschäft ausschließlich damit bestellt, Ängste und Hass zu schüren ohne Antworten zu bieten, darf sich nicht wundern, wenn irgendwann jemand zur Tat schreitet und selbst blutige "Lösungen" liefert. Das gilt nicht nur für sie USA, die sich nach der zusätzlichen Schießerei in Ohio, deren Hintergründe bisher unklar sind, nun ohnehin auf dem Weg zu einem traurig-blutigen Rekord befinden. Rassistische Gewaltausbrüche wie in El Paso können überall passieren, wie der Terror von Christchurch, Neuseeland, beweist.

Entmenschlichung

Und eigentlich braucht es auch niemanden zu erstaunen, dass es den Tätern auf dem Weg zum Gewalttaumel nur noch zweitrangig erscheint, dass es sich bei den "Gefahrenquellen", "Invasoren", "Sozialschmarotzern" und "Illegalen" um Menschen handelt. Dieser Prozess beginnt schon früher und er beginnt im Kleineren: Wer in der politischen Rede und in vielen Medien vor allem von kompromisslos abzuschiebendem Zahlenmaterial, anonymen Größen in Ethnizitäts-, Religions- und Bevölkerungsstatistiken sowie von bedrohlich-radikalisierungsanfälligen Problemfällen erfährt, hört womöglich auch auf der Straße damit auf, in Gesichter zu schauen. Er fängt stattdessen damit an, vermeintlich ethnische oder religiöse Merkmale durchzuzählen.

Wie also der Entmenschlichung begegnen? Jedenfalls reicht es nicht, nach Anschlägen wie jenem von El Paso entsetzt zu sein und dann zur Tagesordnung zurückzukehren und den Diskurs, so wie er ist, als unvermeidlich hinzunehmen. Hingegen wäre schon damit Einiges damit erreicht, sich der Prozesse wieder stärker bewusst zu werden, mit denen die Gesellschaft in willkürliche Einzelteile zerlegt wird, um politischen oder gar persönlichen Profit daraus zu schlagen. Dabei würde es zum Beispiel auch helfen, jene, die auf sie hinweisen und ihnen entgegentreten nicht länger als weltfremde Gutmenschen zu diskreditieren. (Manuel Escher, 4.8.2019)