Otto Schily, wer war das nicht mal? Ach ja, ein deutscher Sozialdemokrat – einer von denen, die es, wenn es ihrer Partei schlecht ergeht, besonders gut mit ihr meinen. So bescheinigte er der SPD jüngst, töricht und in einem "schwierigen Zustand" zu sein. Es ging um Ursula von der Leyen und die Frage, ob die Christdemokratin Chefin der EU-Kommission werden solle. Die SPD fand: Nein. Schily dazu: "Ich weiß nicht, was in diesen Köpfen derzeit vorgeht und ob sie, bevor sie öffentlich sprechen, gründlich genug nachgedacht haben."

Deutschlands Sozialdemokraten im Dauerregen: Die Wetteraussichten für Sonnenschein an der Parteispitze sind alles andere als gut.
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Wer solche Parteifreunde hat, braucht keine Feinde. Doch nach Gegnern sucht die SPD gar nicht; ganz im Gegenteil. Vielmehr nach einem oder einer oder gar zwei neuen Vorsitzenden. Seit Andrea Nahles ihren Rückzug aus der Politik verkündete, ist der Job an der Spitze der ältesten demokratischen Partei Deutschlands vakant. Und das Besondere ist: Alle rennen weg vor dem Amt, das Franz Müntefering, der es sogar zweimal übernommen hatte, einst als "das Schönste neben dem Papst" nannte.

Egomanen und Spaßbremsen

Das ist gut 15 Jahre her. Insgesamt hat die SPD in den letzten drei Jahrzehnten sechs reguläre und fünf kommissarische Chefs verschlissen, unter ihnen Egomanen wie Oskar Lafontaine, Gerhard Schröder und Sigmar Gabriel, Spaßbremsen wie Rudolf Scharping und Lebenskünstler wie Matthias Platzeck und Björn Engholm sowie Pflichtliebhaber wie Kurt Beckl und eben Müntefering.

Passé. Manchen von ihnen ist weniger, anderen mehr anzulasten, dass die SPD in ihrem 157. Jahr tatsächlich keine Vorsitzenden sucht, sondern vielmehr einen oder zwei Retter. 15,8 Prozent haben sie bei der Europawahl im Mai noch gewählt. Aktuell sehen sie die Demoskopen sogar darunter. Wer die Partei in diesem Zustand übernimmt, geht das Risiko ein, irgendwann als ihr Totengräber in den Geschichtsbüchern vermerkt zu werden.

"Zusammenhalt" und "Mut"

Möglicherweise redet Christina Kampmann genau deshalb so gern von "Zusammenhalt" und "Mut". Außerdem findet die Landtagsabgeordnete aus Nordrhein-Westfalen: "Die SPD muss endlich wieder mehr Freude und Zuversicht ausstrahlen." Kampmann traut sich das zu. Deshalb bewirbt sich die 39-Jährige gemeinsam mit dem zehn Jahre älteren Staatsminister im Außenamt, Michael Roth. Niemand in Berlin nimmt an, dass die beiden auch nur den Hauch einer Chance haben.

Noch weniger wird dem zweiten Bewerberpaar zugetraut: dem Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach und Nina Scheer. Und schon gar nichts Paar Nummer drei: Simone Lange, Oberbürgermeisterin von Flensburg, und Alexander Ahrens, Amtskollege in Bautzen. Außerdem hat 25 Tage vor Ende der Bewerbungsfrist noch Hans Wallow Anspruch angemeldet, ein 79 Jahre alter Ex-Parlamentarier und Ex-Vertrauter von Ex-Kanzler Helmut Schmidt mit erklärt gebrochenem Verhältnis zur eigenen Partei.

Eisernes Schweigen

Aber die üblichen Verdächtigen, Minister und Regierungschefs der Länder, höhere Parteifunktionäre, weiblich wie männlich: Sie schweigen. Allesamt.

Man darf deshalb nicht glauben, dass überhaupt gar niemand Ambitionen hätte. Aber wie vorsichtig man in der SPD sein muss, ergibt sich aus den Erwägungen eines zumindest Interessierten: Es brauche, berichtet dieser streng vertraulich, vor einer Entscheidung für eine Kandidatur neben dem passenden Partner jede Menge Gespräche. Auf jeder Ebene der Partei. Und dann sagt er noch, dass er sicher sei, dass die Meldungen schon noch kämen. Kurz vor Bewerbungsschluss. Also spätestens am 31. August.

Wilde Spekulationen

Im Gespräch sind etliche. Etwa Stefan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen. Da aber von ihm kein definitives Ja oder Nein zu hören ist, wurde dieser Tage viel spekuliert. In Weils starkem Landesverband zögern wegen seines Taktierens andere: Innenminister Boris Pistorius und Bundesgeneralsekretär Lars Klingbeil.

Selbstverständlich gäbe es Idealkonstellationen. Frau-Mann, Jung-Alt, links-rechts, Ost-West, Bund-Land – und am besten zwei, die zusammen alles gleichzeitig erfüllen. Außerdem müssten sie dann noch die SPD aus ihrer Lethargie reißen, auf die Schnelle eine Zukunftsvision für sie entwickeln – und, ach ja, Wahlen gewinnen. Natürlich.

Und nein, Otto Schily, 87 und Ex-Bundesinnenminister, hat keine Chance. Und wohl auch nicht Sigmar Gabriel, der demnächst 60 Jahre wird und siebeneinhalb davon SPD-Boss war. Boss ist dabei wörtlich zu nehmen. Auch er hat sich jüngst einigermaßen gehässig über den Zustand seiner Partei ausgelassen. Und auf die Frage nach einem Comeback tatsächlich wie James Bond geantwortet: "Sag niemals nie." (Cornelie Barthelme aus Berlin, 5.8.2019)