ORF-Kultur-Moderatorin Barbara Rett: "1971 war der Kohlmarkt eine stille, vollkommen unmoderne Gegend."

Foto: Ernst Kainerstorfer/ voestalpine

Vor Barbara Retts erster eigener Wohnung steht jetzt ein Security-Mann, in den Geschäften rundherum wird Luxus verkauft. Die Rede ist vom Kohlmarkt, wo die ORF-Kulturjournalistin im Jahr 1971 ihr erstes eigenes Domizil bezog.

Damals war vieles anders: "Der Kohlmarkt war eine stille, vollkommen unmoderne Gegend", erzählt sie heute. In den Häusern wohnten alte Menschen, "vom Hofrat bis zur Gräfin".

Ehemalige Schneiderei

Rett lebte mit vier Mitbewohnern in einer Wohngemeinschaft im obersten Stock einer "riesigen und total abgehausten" ehemaligen Schneiderei. "Wir konnten machen, was uns gefiel", erzählt sie – auch den Boden im Gemeinschaftsraum silbern streichen.

Rett selbst wohnte in zwei sehr kleinen Zimmern mit Rokoko-artigen Bemalungen an den Wänden, von einem sah man direkt auf die grüne Hofburg-Kuppel. An der Rückseite des Hauses lag die winzige Neubad-Gasse: "Man konnte den Damen des Bordells im ebenfalls vollkommen abgehausten Barock-Palais vis-à-vis fast die Hand geben", so Rett.

Ihren Eltern erlaubte die Journalistin nur einen einmaligen Besuch in der Wohnung, "unter der Auflage, dass sie nicht in Ohnmacht fallen dürfen", sagt sie. Immerhin schliefen manchmal auch Obdachlose, die von der Straße geholt wurden, ihren Rausch in der Wohnung aus. Und: "Besucher, Freunde und Geliebte gingen entspannt aus und ein."

Schöne Pawlatschen

Neben der Freiheit seien die Pawlatschen das Schönste an der Wohnung gewesen. Sie gingen rund um den Biedermeier-Innenhof, "so konnte man von früh bis spät in den zierlichen, nach Holz duftenden Gebilden aus Glas sitzen", halb geborgen, halb im Freien. Eine Weile lebte die WG noch mit kaputtem Dach und gepölzten Decken. Rett erzählt: "Dann siegte der Hausbesitzer, baute den Innenhof fast vollständig zu und verkaufte unsere Idylle vermutlich zu Luxuspreisen." (bere, 6.8.2019)