Rund um die Burg Schlitz bietet die mecklenburgische Landschaft Op-Art und der Berliner Bildhauer Duwentester Landart.

Foto: Schlosshotel Burg Schlitz / Hans Blossey

Wenn Berliner zu viel von der Stadt haben, fahren sie in die Schweiz. Nicht in die südliche, wo Bergzacken in den Himmel ragen, sondern in die nördliche, wo Hügel in Seen enden. Zwei Stunden von Berlin entfernt, mitten hinein nach Mecklenburg, dorthin hat es den Bildhauer Wilfried Duwentester verschlagen. Früher Kreuzberg, jetzt Görzhausen, Pseudoschweiz.

Der Künstler lebt seit den frühen 1990er-Jahren hinter dem Röthelberg, einer Erhebung, von der Einheimische stolz behaupten, sie sei 1.000 Dezimeter hoch. Eine imposante Zahl, die bei korrekter Umrechnung schnell auf 100 Meter schrumpft. An dieser Stelle soll Herzog Georg von Mecklenburg vor etwa 200 Jahren gestanden sein, den in der Eiszeit entstandenen Hügelzug gesehen und euphorisch ausgerufen haben: "Hier habt ihr eure eigene Schweiz!" Bis heute erinnert ein rot-weißes Schild an den geografischen Namenspaten. "Schweiz, 832 Kilometer" steht darauf.

Gespenstischer Kerl

Vom "Berg" geht es eine Allee hinab, an einem Feldweg mit Skulpturen entlang. Einmal steht unter Linden ein Pinguinpaar mit Küken, einmal lugt ein geschnitztes Fabelwesen aus einem Brunnenschacht hervor. "Der Spion", nennt Duwentester diesen gespenstischen Kerl am Wegesrand – Teil seines Skulpturenpfads. Er erstreckt sich über knapp 500 Meter, ist mit mehr als 40 Kunstwerken bestückt und endet am Schafstall, den Duwentester zum Wohnhaus und Atelier umgebaut hat.

"Zwei Schafsböcke", sagt Duwentester, gab es noch, als er 1993 in das Fünf-Gehöfte-Dorf kam. Und natürlich eine Handvoll Dörfler, die dachten: Schau dir mal den Spinner an! Heute stehen seine Skulpturen auch bei ihnen im Vorgarten, zwei königsblaue Kühe schmücken einen Rasen, und der Nachbar verkauft Kaffee und Kuchen an kunstinteressierte Gäste. Manche kommen zu Fuß von der Burg Schlitz, einem der wenigen Luxushotels in der Region, das mit Gourmetrestaurant und Türmchenarchitektur lockt, andere Besucher reisen mit dem Rad aus Teterow an, der größten Stadt der Mecklenburger Schweiz, zehn Kilometer entfernt.

Erotisch geformte Landschaft

Im Atelier legt Wilfried Duwentester die Motorsäge aus der Hand, streicht über die unfertige Frauenskulptur aus Eichenholz und fegt mit den Schuhen lässig die Späne beiseite. Der 72-Jährige denkt an die Wellen der Landschaft, auf der im Mai Raps blüht und im Juni der Mohn und ganzjährig Eichen dem Wind trotzen. Er sagt, das sanft geformte Land finde er "ausgesprochen erotisch", und meint das völlig ernst. Die zwei Katzen ziehen sich ins Dachgebälk zurück, ein paar Schwalben fliegen durch das offene Haus. "Die scheißen meine Kunst zu", sagt Duwentester trocken.

Einmal, erzählt er, habe ihn eine Zahnärztin gefragt, wieso er seine Figuren denn in diese perfekte Natur hineinstelle? Lange habe er überlegt. Bis er eine Rechtfertigung fand: "Meine Skulpturen sind das Bauchpiercing der Mecklenburgischen Schweiz." Eine Verschönerung für die einen, eine Verschandelung für die anderen, alles liegt im Auge des Betrachters.

Vorliebe für ausgefallene Getränke

Von einer Hügelkuppe sieht man den Teterower See. Zusammen mit dem Malchiner und dem Kummerower See bildet er das Dreieck der Region, das auf eine Fläche von 50 Quadratkilometer kommt. Nur wenige Autofahrer verirren sich nach Teterow, dem Herzen der "Schweiz". Helge Apelt arbeitet daran, das zu ändern. Dafür braucht der Gastronom frische Rinderbäckchen und heimisches Feldgemüse.

Früher Barkeeper in Prenzlauer Berg, heute Restaurantbetreiber der "Stadtmühle". Der 35-Jährige hat sich vor knapp zehn Jahren aus der deutschen Hauptstadt verabschiedet und für seine neue Existenz die Vorliebe für ausgefallene Getränke und regionale Produkte mitgenommen. Er bietet Gin aus Rostock, Eis aus Neubrandenburg und einen Müritz-Zander mit Joghurtpraline an. Für Apelt ist Teterow die Fortführung von Berlin ohne Jutesackerln. Solche Konzepte funktionieren plötzlich in einer Region, die früher für Landgasthöfe mit Defensivservice berüchtigt war.

An der Zukunft werkeln

Vor dem Eingang baut Apelt im Sommer Tische mit Grillplatten auf, darauf können die Gäste ihr Barbecue selbst zubereiten – koreanische Szenerestaurants in Berlin setzen auf ein ähnliches Machs-doch-selber-Prinzip. Am Ende greifen die Griller vielleicht noch zu einem Hammerdrink wie den "Fun Goch", eine selbst ausgedachte Mischung aus Absinth und Erdbeersaft. "Mehr als drei pro Person empfehlen wir nicht", sagt Apelt.

Auf der anderen Seite der Stadt, die zwei Jahre älter als Berlin ist und ihr Stadtrecht 1235 erhielt, werkelt ein Ehepaar aus der Hauptstadt noch an der Zukunft. In Lelkendorf haben Mechthild und Joachim von Levetzow das Gutshaus der Familie erworben und bringen es nun auf Vordermann. Seit 25 Jahren arbeiten sie daran, zuerst nur an Wochenenden, als sie noch Studienrätin und er Bauingenieur war, seit ihrer Pensionierung vor einigen Jahren in Vollzeit. Der 75-jährige Schlossbesitzer rezitiert einen Spruch seines Vaters: "Leg dir ruhig ein Schloss zu, aber nie ohne Angestellte." Es ist stark anzunehmen, der Vorfahre wäre entsetzt über die Plackerei seines Sohnes.

Schutt raustragen

Die Familie ist nach dem Zweiten Weltkrieg von den Russen enteignet worden und zog in den Westen Deutschlands. Als Deutschland wiedervereinigt wurde, erwarb die Mutter das Gutshaus für eine symbolische Mark zurück. In den dreigeschoßigen Bau aus dem 13. Jahrhundert beherbergte seitdem eine Post, eine Kneipe, Gemeindebüros und wurde auch als Turnhalle genutzt. Als die ersten Handwerker zur Sanierung eintrafen, schlugen sie wegen der maroden Bausubstanz die Hände über den Köpfen zusammen.

Bedächtig hat die Familie das Haus wiederaufgebaut. Die zwei Söhne mussten jedes Wochenende mithelfen und Schutt raustragen. Jeden Sonntagmittag, wenn die Dörfler aus der Kneipe schwankten, kamen ihnen die Levetzows mit Scheibtruhen entgegen. Dass die Heimgekehrten "nicht so feine Pinkel" waren, wie der Hausherr sagt, mochten die Lelkendorfer.

Viermal im Jahr hat die Familie bisher zu Musikabenden geladen, eine Maschinenhalle zum Theater umgebaut und eine Kunstgalerie in einem Portiershäuschen installiert. Jetzt gibt sie die Leitung des Kunstvereins ab: an ein Schweizer Ehepaar. (Ulf Lippitz, 13.8.2019)