Der 56-Jährige wurde wegen Wiederbetätigung in Facebook-Postings verurteilt.

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Wien – "Welche Gräueltaten soll die 'geldgierige jüdische Finanzmafia' denn begangen haben?", will Beisitzer Thomas Spreitzer vom wegen Wiederbetätigung angeklagten Christian L. wissen. "Sie haben Hitler als Werkzeug benutzt, um diesen Krieg zu führen – und haben so auch indirekt die Taten an der jüdischen Bevölkerung zu verantworten", fasst der 56-jährige Notstandshilfebezieher seine Erkenntnisse zusammen, zu denen er "aufgrund der Recherchen" gekommen sei.

Der Geschworenenprozess unter Vorsitz von Thomas Kreuter gegen den Wiener bietet einen exzellenten Einblick in die Welt der rechten Verschwörungstheoretiker. In mehreren Facebook-Postings soll sich der Angeklagte zwischen Sommer 2018 und Jänner 2019 im nationalsozialistischen Sinne wiederbetätigt und zusätzlich gegen Migranten gehetzt haben. Der Unbescholtene bekennt sich "nicht schuldig".

Auch Kennedy, Reagan und Haider Opfer

Und erklärt, wie er zu seinen Rechercheergebnissen kommt. Die Machenschaften der "jüdischen Finanzmafia" beispielsweise habe ihm der Betreiber eines Militärmuseums verraten, dem er die Pistole seines Urgroßvaters verkauft habe. Im nächsten Satz schränkt L. gleich wieder ein, dass ihm der Mann doch nur erklärt habe, dass Josef W. Stalin während seiner Herrschaft mehr Menschen getötet habe als Adolf Hitler. Nur um im übernächsten Satz festzustellen, dass auch John F. Kennedy, Ronald Reagan und Jörg Haider Opfer der Finanzmafia geworden seien.

Nun darf aber nicht der Eindruck entstehen, dass L. vor Gericht sitzt und völlig zusammenhangloses wirres Zeug brabbelt – obgleich sein Verteidiger auf das niedrige Bildungsniveau seines Mandanten, der einen Lehrabschluss hat, hinweist. Als ihn Beisitzer Spreitzer zum Beispiel fragt, ob er wisse, was der Goldstandard ist, antwortet der Angeklagte ohne Zögern, dass das bedeute, dass der Wert der Geldscheine durch Goldreserven in der Notenbank gedeckt sei.

Verweis auf angeblichen "New York Times"-Artikel

Bei der Befragung zu seinem Beitrag, wonach durch das Verbotsgesetz "unschuldigen Bürgern, die diese verbrecherischen Zeiten hinterfragen, das Leben bewusst schwergemacht" werde, bleibt er dagegen vage. Er sieht sich aber selbst als einer davon und verweist unter anderem darauf, dass die "New York Times" angeblich geschrieben habe, dass im Holocaust keine sechs Millionen Juden ermordet worden sein konnten, da damals nur drei Millionen auf der Welt lebten.

"Woher beziehen Sie denn Ihr Geschichtswissen?", will der Beisitzer auch hier wissen. "Großteils aus dem Internet", antwortet der Angeklagte. "Der 'New York Times'-Artikel war zum Beispiel auf Facebook." – "Und Ihr Englisch reicht aus, um den Artikel lesen zu können?", interessiert Vorsitzenden Kreuter. "Der Artikel war auf Deutsch!", lautet die überraschende Replik. "Und waren Sie schon einmal in einer Bibliothek und haben solche Informationen in Sachbüchern überprüft?" – "Nein."

Stolpersteine als "Hetze"

Eine andere überraschende Ausrede findet L. dafür, warum er über Stolpersteine in der Bundeshauptstadt schrieb, dass "jetzt in Wien die Gehsteige damit verschandelt" würden und das "Hetze" sei. Am Ende der Diskussion schrieb L.: "Das war 'vielleicht' einmal, und unsere Generation hat damit nichts mehr zu tun."

Bei den Einträgen sei er von der "Emotion" überwältigt gewesen, da er einige Wochen vorher beobachtet habe, dass eine ältere Dame mit Gehstock wegen einer dieser in den Gehsteig eingelassenen Metallkörper fast ausgerutscht sei. "Es gibt in der Straße auch Gedenktafeln an Hauswänden", begründet der Angeklagte, warum er gegen die Installationen im Gehsteig auftrat.

Was genau jetzt seine angeprangerte "Hetze" mit dem Beinaheunfall einer alten Frau zu tun habe, kann er nicht beantworten. Irgendwann bricht es aus ihm heraus, dass er primär nicht im öffentlichen Raum an die Verbrechen der Vergangenheit erinnert werden möchte.

George Soros und nochmals Jörg Haider

Was eine Geschworene zu einer berechtigten Frage veranlasst: "Wie soll man zur Geschichte stehen, wenn man sich nicht damit auseinandersetzt?" Auch sie erhält keine wirkliche Antwort. Davor ist noch von einem angeblichen Zeitungsinterview die Rede, in dem Investor George Soros zugegeben habe, die Migration nach Europa zu finanzieren, sowie von einem angeblichen ORF-Fernsehbeitrag, in dem Experten erklärt hätten, dass Jörg Haiders Unfalltod ein Anschlag gewesen sei.

Als Beleg der keinesfalls nationalsozialistischen Gesinnung seines Mandanten führt der Verteidiger an, dass L. einem syrischen Flüchtling kostenlos Deutschnachhilfe gebe. Seinen Antrag auf die Ladung einer Ordensschwester, die das bezeugen könne, lehnt der Senat mangels Relevanz aber ab.

Die Hoffnung, den Saal als "unschuldiger Bürger" verlassen zu dürfen, erfüllt ihm das Gericht nicht: L. erhält rechtskräftig 18 Monate bedingt wegen Wiederbetätigung. (Michael Möseneder, 7.8.2019)