Als Avigdor Lieberman am Samstagabend in der Interviewsendung "Treffen Sie die Presse" im israelischen TV auftauchte, dürften in der Jerusalemer Residenz des Premiers alle Alarmglocken geschrillt haben.

Benjamin Netanjahu wird von den Niederungen der Politik eingeholt.
Foto: AFP/JACK GUEZ

Da saß er, der Chef der national-säkularen Partei "Unser Haus Israel", der neue politische Gegner Netanjahus, der die Koalitionsverhandlungen im Mai hatte platzen lassen, und sagte: Wenn Premier Benjamin Netanjahu nach der Wahl am 17. September wieder keine Koalition zustande bringe, sollte dessen Likud-Partei einen Alternativkandidaten präsentieren. Er gab sich zuversichtlich, dass der Likud dies auch tun werde. Auf die Frage, wer Netanjahu ersetzen könnte, antwortete er: Knesset-Sprecher Juli Edelstein. Im Hause Netanjahu kam das naturgemäß nicht gut an. Sohn Jair Netanjahu twitterte, Lieberman habe seine Pläne für einen Putsch enthüllt. Zwar löschte er den Text wenig später, und Edelstein versicherte, hinter dem Premier zu stehen. Doch um auf Nummer sicher zu gehen, fädelten Netanjahus Unterstützer im Likud eine Unterschriftenaktion ein.

"Es gibt keinen anderen"

Sie ließen die Kandidaten der eigenen Partei schriftlich ihre Loyalität zusichern: "Unabhängig von den Wahlergebnissen ist der Premier und Likud-Vorsitzende Benjamin Netanjahu der einzige Likud-Kandidat für das Amt des Premiers. Es wird keinen anderen Kandidaten geben", heißt es da.

Es ist nicht das erste Mal, dass Netanjahu einen Putschversuch innerhalb seiner eigenen Partei fürchtet. Vor der vergangenen Wahl beschuldigte er den früheren Minister Gideon Saar, der Anfang des Jahres in die Politik zurückkehrte, zusammen mit Staatspräsident Reuven Rivlin an seinem Stuhl zu sägen. Beobachter werfen dem Premier seither Verfolgungswahn vor. Mehrere Parteien reagierten Anfang der Woche mit Hohn und Spott: Die Arbeiterpartei ließ in Tel Aviv ein Plakat für ihre eigene Unterschriftenaktion aufstellen, mit der Aufschrift: "Die Likud-Partei hat sich Bibi verpflichtet, wir sind den Menschen verpflichtet." Bibi ist der Spitzname des Premiers.

Doch ist es Paranoia, oder hat der Premier allen Grund, vorsichtig zu sein? Immerhin: Die Umfragen deuten darauf hin, dass es für ihn nach der Wahl wieder eng werden könnte. Eine erneute Pattsituation zwischen dem linken und rechten Lager wird erwartet – mit Lieberman als Königsmacher.

Koalitionspoker

Dessen Traumkoalition wäre eine große, bestehend aus seiner eigenen Partei, dem von Benny Gantz angeführten Bündnis Blau-Weiß und dem Likud. Mit Netanjahu scheint diese Koalition kaum möglich. Gantz wiederum will nicht mit dem Likud in der Regierung sitzen, solange Netanjahu die Partei anführt. Das Problem könnte mit einem neuen Spitzenkandidaten gelöst werden.

Hinzu kommt: Netanjahu wird im Oktober jene Anhörung nachholen müssen, die nötig ist, bevor Israels Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit in drei Fällen Anklage gegen ihn wegen Betrugs, Bestechlichkeit und Untreue erheben kann. Möglich scheint also, dass man im Likud derzeit über einen Nachfolger nachdenkt.

Am Ende allerdings könnte Netanjahu all das zu seinem eigenen Vorteil nutzen – und sich mit dem Schüren der Angst vor einem Putsch weitere Stimmen sichern. (Lissy Kaufmann aus Tel Aviv, 5.8.2019)