OMV-Chef Rainer Seele weist Vorhaltungen zurück, mehr russische als österreichische Interessen im Auge zu haben.

Foto: Andy Urban

Vor einer Woche hat er noch mit viel Freude über die Geschäftsergebnisse des ersten Halbjahres referiert – Zuwächse in allen Bereichen, trotz schwächerer Öl- und Gaspreise und konjunkturellen Gegenwindes. Manches stoße ihm dennoch sauer auf, sagte OMV-Chef Rainer Seele zu Beginn der neuen Woche.

STANDARD: Wie "politisch" sind Öl und Gas heute noch?

Seele: Das Öl- und Gasgeschäft war immer politisch. Die zentrale DNA des Wirtschaftswachstums ist die Versorgung mit diesen beiden Grundbausteinen.

STANDARD: Aber die Bedeutung von Öl und Gas war schon einmal größer, die Weltwirtschaft hat sich ein Stück weit entkoppelt.

Seele: Weil andere Industrien auch gewachsen sind. Auch diese anderen Industrien sind substanziell abhängig von Öl und Gas.

STANDARD: Warum standen gerade Öl und Gas so im Blickpunkt machtpolitischer Interessen, kein anderer Betriebsstoff hat weltweit so eine Bedeutung erlangt.

Seele: Dem möchte ich widersprechen. Das Geld hat, glaube ich, den größten Hebel, nicht Öl und Gas. Gerade in Zeiten, wo wir uns ständig mit Sanktionsdrohungen konfrontiert sehen, merken wir, wie stark das Finanzsystem die Weltmärkte beherrscht.

STANDARD: Dass Öl ein besonderer Saft ist, haben die Konsumenten erstmals Anfang der 1970er-Jahre erfahren – Stichwort erste Ölpreiskrise. Hat man etwas daraus gelernt?

Seele: Als Antwort darauf ist die Internationale Energieagentur entstanden, wir haben Erdölbevorratung – ein Sicherheitssystem, um bei Verknappungstendenzen reagieren zu können. Der Anteil der Opec an der Gesamtförderung ist in den Jahrzehnten nach diesem Schock ständig zurückgegangen. Wir haben jetzt die USA, wenn man sie als einzelnes Land sieht, als größten Ölproduzenten der Welt. Das heißt, wir haben eine wesentlich breitere Diversifizierung.

Rainer Seele (58) ist seit vier Jahren Generaldirektor der OMV. Der gebürtige Deutsche war zuvor Chef des größten deutschen Öl- und Gasunternehmens Wintershall. Der studierte Chemiker ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.
Foto: Andy Urban

STANDARD: Das hätte vor zehn Jahren wohl niemand gedacht, dass die USA so einen Aufschwung mit Öl und Gas erleben würden.

Seele: Das ist rein technologisch begründet. Die USA waren dabei, ständig mehr Öl und Gas zu importieren, jetzt sind sie dank der Frackingtechnologie ein Nettoexporteur geworden.

STANDARD: Dass Gas auch nicht ohne ist, haben Haushalte in Osteuropa vor ein paar Jahren gespürt, als wegen der Eskalation des Streits zwischen Russland und der Ukraine um gerechte Preise kein Gas kam und sie im Kalten saßen.

Seele: Diese Situation hat Europa alles in allem hervorragend gemanagt. In Österreich haben wir den gesamten Jahresbedarf in Gasspeichern abgesichert.

STANDARD: Viele Menschen sind durch den Klimawandel hellhörig geworden, die Bewegung raus aus Öl und Gas erstarkt. Ist es nicht an der Zeit, dass die OMV grundlegend ihr Geschäftsmodell überdenkt?

Seele: Nein, denn die Prognosen sagen, dass wir noch lange Öl und Gas brauchen. Wir werden beides in Zukunft wesentlich stärker als Ausgangsstoff für andere Industrien nutzen, sei es im medizinisch-pharmakologischen Bereich, aber auch im Automobilbau. Die Bewegung hin zu energieeffizienteren Systemen kann man nur durch Hochleistungsverbundwerkstoffe erreichen. Wenn wir keine Abstriche machen wollen in der Weiterentwicklung der sozialen Systeme, auch auf anderen Kontinenten, werden wir auch mittel- bis längerfristig sehr stark auf Öl und Gas angewiesen sein.

STANDARD: Die OMV hat Expertise in der Suche nach und Produktion von Kohlenstoffen, Sie könnten aber auch Aquifere in der Wüste anzapfen – in Libyen beispielsweise – und mit Wasser Geschäfte machen statt mit Öl und Gas. Keine Option?

Seele: Ich kann viele Geschäfte machen, manche sagen, wir sollten in erneuerbare Energien, in die Fotovoltaik einsteigen ...

STANDARD: Manche sagen, Wasser ist das Gold oder Öl der Zukunft?

Seele: Das ist toll. Ich bin voll und ganz der Meinung, dass gerade das Thema Wasser für die Entwicklung unserer Gesellschaften von enormer Bedeutung ist. Wir müssen die Menschen ernähren und ihnen etwas zu trinken geben. Wir als OMV haben Technologien, wo wir gerade Wasseraufbereitung und Wasserbehandlung für uns als Expertise entwickelt haben. Wir können aber nicht alles machen. Unser Schwerpunkt außerhalb der Förderung und Raffinierung von Öl und Gas wird Chemie sein. Es verlangt von der OMV einen erheblichen Aufwand, um diese Transformation zu schaffen. Wir stecken mehr Geld in die Entwicklung neuer Technologien, die aus dem Bereich der Chemie kommen, etwa das Re-Oil-Verfahren, aber auch die Wasserstoff- und CO2-Chemie. Damit wollen wir in Sachen Nachhaltigkeit noch besser werden.

STANDARD: Die USA wollen mit aller Macht die Nord-Stream-2-Pipeline der russischen Gazprom verhindern, die von der OMV als Zehn-Prozent-Partner mitfinanziert wird. Was sagt Ihnen das?

Seele: Dass die Amerikaner ihre Außenpolitik geändert haben. Sie wollen Europa über eine Sanktionspolitik dazu verleiten, mehr amerikanisches Flüssiggas zu kaufen.

STANDARD: Das ist doch legitim, oder?

Seele: Es ist die Frage, inwieweit sich Europa politisch bevormunden lassen möchte in der Energieversorgung dieses Kontinents. Wir Europäer müssen ganz klar ein Gegengewicht setzen, sowohl politisch als auch wirtschaftlich. Nord Stream ist ein Projekt, das von EU-Mitgliedstaaten unterstützt wird, allen voran von Deutschland, aber auch von Österreich, die ein Interesse haben, dass es bei Leitungen Alternativen gibt. Das haben auch alle Drittstaaten zu respektieren, Wir sollten uns in Europa nicht durch Sanktionsandrohungen in irgendeiner Form beeindrucken lassen.

STANDARD: Wie unterscheidet sich das Vorgehen der USA von jenem Russlands vor einigen Jahren, als gegen das OMV-Projekt Nabucco Sturm gelaufen wurde? Die Leitung wurde nicht gebaut, Gas aus Aserbaidschan konkurriert in Mitteleuropa nicht mit Russengas.

Seele: Der Vergleich hinkt. Ich kann mich nicht erinnern, dass Russland europäischen Unternehmen irgendwelche Sanktionen angedroht hat. Dass jeder Interesse hat, Marktanteile in Europa zu erobern und zu verteidigen, ist in Ordnung, aber nach den Spielregeln, die in Europa gelten. Wir als Europäer mischen uns auch nicht in die Spielregeln anderer Länder ein.

STANDARD: Wie wichtig ist die Politik bei der Geschäftsanbahnung in Kernregionen der OMV wie Russland, Rumänien, Emirate?

Seele: Wir haben eine sehr große Unterstützung von der ehemaligen Bundesregierung bei all diesen Geschäften erhalten, da sind wir außerordentlich dankbar dafür.

STANDARD: Ist die wichtig?

Seele: Für uns war das wichtig. Die politischen Beziehungen zwischen den Ländern sind von erheblicher Bedeutung, wenn wir in großem Ausmaß irgendwo investieren.

STANDARD: Sie hatten gute Kontakte zu Johann Gudenus, den über das Ibiza-Video gestolperten ehemaligen FPÖ-Klubobmann und Vorstand der österreichisch-russischen Freundschaftsgesellschaft. Ist diese Verbindung jetzt abgerissen?

Seele: Ich weiß nicht, wo Sie das aufgeschnappt haben, dass ich gute Kontakte zu Herrn Gudenus habe, er war nicht Mitglied der Regierung. Für uns sind die Ansprechpartner das Finanzministerium und die Mitglieder der Bundesregierung. Für uns sind die Kontakte zu unserem Aktionär, dem österreichischen Staat, von Bedeutung, alles andere ist für uns zweitrangig.

STANDARD: Manche Kreise in Österreich sehen in Ihnen einen Agenten Gazproms, der die Interessen Russlands mehr im Auge hat als das Wohl Österreichs. Stört Sie das?

Seele: Es ist unfair, wenn solche Kommentare kommen. Das ist nicht so, wie ich denke und empfinde. Das wird aus meinen Handlungen, Taten und Äußerungen, glaube ich, sehr deutlich. Wer sieht, mit welcher Begeisterung ich mich für die OMV und Österreich einsetze, denkt anders. (INTERVIEW: Günther Strobl, 6.8.2019)