In der Serie alles gut? denkt STANDARD-Redakteur Andreas Sator über eine bessere Welt nach – und darüber, welchen Beitrag er leisten kann. Melden Sie sich hier für seinen kostenlosen Newsletter an.

Was die EU an Entwicklungshilfe mit der linken Hand gibt, nimmt sie sich mit der rechten durch ihre Agrarpolitik wieder. So lautet der Vorwurf vieler NGOs. Subventionierte Hühnchen aus der EU landen auf Märkten in Afrika, kleine Bauern können mit der Konkurrenz nicht mithalten. Gleichzeitig regelt die Union rigoros, was an Produkten auf den eigenen Markt darf. Die Kritik ist nicht falsch, aber auch nicht ganz fair. Der Versuch einer Aufarbeitung.

Sie lesen alles gut?, eine Serie, in der ich über eine bessere Welt nachdenke. Melden Sie sich für meinen Newsletter an – ich halte Sie auf dem Laufenden.

Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Markt in Sekondi-Takoradi, einer der größten Städte Ghanas. Auf Märkten im Land findet man auch eine Vielzahl an Produkten aus der Europäischen Union.
Foto: Getty Images/Gallo Images

Um die komplizierten Verflechtungen zu verstehen, lohnt es, die Frage zweizuteilen. Was passiert in der EU, und was in Afrika? Beginnen wir in Afrika.

Die NGO Oxfam kritisiert, dass Bauern in Westafrika nicht mit Milchpulverimporten aus der EU mithalten können. Statt 90 Cent für einen Liter lokaler Milch seien nur um die 30 Cent für das Pulver fällig. Ähnliches gilt für Geflügelreste – in Europa wird meist nur die Brust an den Mann oder die Frau gebracht, und der Rest wird billig in anderen Teilen der Welt, etwa in Liberia, verkauft. In Ghana findet man subventionierte Tomaten aus Italien.

Die EU-Kommission sagt, sie habe auf die Kritik reagiert. Und tatsächlich ist die Situation heute eine andere als in der Vergangenheit. Die EU hat sich 2015 in Nairobi verpflichtet, Exportsubventionen abzuschaffen. Lange hat sie EU-Bauern Geld dafür gegeben, dass diese etwa ihre Milch billig im Ausland verscherbeln. Das ist seit einigen Jahren nicht mehr so.

Außerdem wird großteils nicht mehr nach produzierter Menge, sondern bewirtschafteter Fläche gefördert. Eine Bäuerin kriegt also nicht Fördergeld dafür, dass sie 10.000 Liter Milch produziert, sondern 20 Hektar Land bearbeitet. Früher hatte man den Anreiz, extra viel zu produzieren, um mehr Förderungen zu erhalten. Das ist heute selten. Die Exportmenge wird durch die Politik kaum mehr künstlich erhöht, sagt Ökonom Alan Matthews vom Trinity College in Dublin.

Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Hühnerstall in Monrovia, Liberia.
Foto: AP / PEWEE FLOMOKU

Die meisten Exporte würden es also auch ohne Förderungen geben, auch wenn die hohen Subventionen natürlich ein Vorteil für Bauern sind. Sie sind aber nicht der zentrale Grund, warum europäische Bauern im Wettbewerb bestehen. Teile der Landwirtschaft Afrikas leiden seit Jahrzehnten an großer Ineffizienz und an schlechter Infrastruktur, was Transport und Kühlung schwierig macht. Augustin Fosu von der Universität Ghana sagt, was die Politik vor Ort mache, um die Landwirtschaft zu stärken, sei die zentrale Frage.

Außerdem helfen billigere Produkte aus dem Ausland in Ländern, in denen die Armut oft noch sehr groß ist. In Burkina Faso ist laut Weltbank fast die Hälfte der Menschen extrem arm. Wenn europäisches Milchpulver ein Drittel der lokalen Milch kostet, hilft das vielen Menschen, sie sich überhaupt leisten zu können. Man könnte also sagen: Soll doch jedes Land für sich entscheiden, ob es die Importe will oder nicht. Wenn nicht, könnten die Länder hohe Zölle einführen und so die lokale Wirtschaft vor ungleichem Wettbewerb schützen.

Eine Frau mit Moped und einer Kuh in Ouagadougou, in Burkina Faso.
Foto: APA/AFP/ISSOUF SANOGO

Weil die Armut in den Städten Westafrikas hoch ist, heben die Länder dort laut Oxfam nur einen Zoll von fünf Prozent ein. Das Problem ist aber, sagt Augustin Fosu, dass den Ländern zum Teil die Hände gebunden sind. Denn erstens würden sie sich oft nicht trauen, Zölle gegen die politisch mächtige EU einzuführen. Zweitens schränken die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) die Regierungen ein. Denn die WTO funktioniert nach dem Prinzip Gegenseitigkeit.

Wenn ein Land einem anderen niedrige Zölle gewährt, muss das andere nachziehen. Die EU hat in der Vergangenheit die Märkte für viele ärmere Länder geöffnet, die das jetzt nach und nach auch tun müssen. Die EU verhandelt Handelsabkommen, die zwar Ausnahmen vorsehen, afrikanische Länder aber bei der Einhebung von Zöllen einschränken. Die Elfenbeinküste kann etwa keine Importzölle mehr auf Hirse einführen, sagt Francisco Marí von der NGO Brot für die Welt.

Was kann die EU also tun? Die Förderungen zu kürzen würde an den Exporten wenig ändern. Ökonom Fosu sagt, Europa könne sich bei der WTO dafür einsetzen, dass das Prinzip der Gegenseitigkeit bei ärmeren Ländern lascher gehandhabt werde. Dann könnten sie vom Zugang zur EU profitieren und trotzdem die Importe zu Hause einschränken.

Ein Containerschiff am Hafen von Cotonou. Die Regeln für den Welthandel macht die WTO.
Foto: APA/AFP/PROSPER DAGNITCHE

Für die ärmsten Länder der Welt gibt es diese Ausnahmen, die auch mit den Regeln der WTO konform gehen, aber schon. Damit kommen wir zu Teil zwei: Was lässt die EU auf die eigenen Märkte? Das Abkommen "Alles außer Waffen" erlaubt es den 47 am wenigsten entwickelten Ländern der Welt, alle ihre Güter (außer Waffen und Munition) ohne Zölle in die EU zu exportieren. Darunter fallen die meisten Länder in Subsahara-Afrika, aber bei weitem nicht alle: im Vergleich dazu wohlhabendere Länder wie etwa Ghana, Kamerun oder Senegal nicht.

Trotzdem gilt die Kritik am abgeschotteten EU-Markt für die Mehrheit der Länder südlich der Sahara nicht: Die Tür zu den EU-Konsumenten ist für viele offen. Die EU importiert aus dieser Region auch immer mehr. Im Vorjahr wurden Lebensmittel im Wert von 13,3 Milliarden Euro aus Subsahara-Afrika importiert, etwa Kakao- und Kaffeebohnen oder Früchte, und für 8,6 Milliarden Euro dorthin exportiert. Würde die EU ihren Markt ganz öffnen, wäre das für die ärmsten Länder sogar ein Nachteil. Denn dann gäbe es mehr Konkurrenz für ihre Exporte.

Frauen sortieren Kakaobohnen in Abidjan in der Elfenbeinküste.
Foto: APA/AFP/SIA KAMBOU

Wer aber nicht in den Genuss der vorteilhaften Handelsregeln kommt, bekommt den Protektionismus der EU zu spüren. Andrew Mold vom Büro der Vereinigten Nationen in Kigali, Ruanda, sagt, die Union habe ein ungleiches Spielfeld geschaffen. Ärmere Länder wären in der Lage, deutlich mehr Agrarprodukte zu exportieren. Die auf diese Produkte erhobenen EU-Zölle würden im Schnitt aber 8,5 Prozent betragen, zudem seien die zu erfüllenden Standards hoch. Das erschwere den Handel und schütze Bauern in der EU.

Schadet die Agrarpolitik der EU den ärmsten Ländern der Welt? Wie wir gesehen haben, lässt sich diese Frage nicht pauschal beantworten. Wenn die EU afrikanischen Ländern im Handel aber wirklich helfen will, hat Stefan Dercon von der Uni Oxford einen mutigen Vorschlag: Früher hat die EU Exporte subventioniert, die eigenen Produkte konnten so billiger am Weltmarkt verkauft werden. Das schadete ärmeren Ländern. Sein Vorschlag: Drehen wir das Ganze um. Wie wäre es, wenn die EU jetzt Importe aus Afrika subventioniert?

Wenn Ihnen der Beitrag gefallen hat, melden Sie sich für den Newsletter an. Ich schreibe Ihnen, wenn im Rahmen der Serie ein neuer erscheint. (Andreas Sator, 11.8.2019)