Inoffiziell haben die Forscher den Riesenpapagei "Squawkzilla" getauft. Links unten als Größenvergleich ein acht Zentimeter großer Kuiornis – ein Singvogel, der in denselben Wäldern lebte wie Heracles inexpectatus.
Illustration: Brian Choo, Flinders University

Adelaide – Der größte Papagei der Welt, zumindest wenn man nach der Masse geht, ist heute der Kakapo, und der lebt auf Neuseeland. Als einziger Papagei, der nicht fliegen kann, bringt es der schwerfällige Vogel mit dem charakteristisch moosgrünen Gefieder auf 60 Zentimeter Länge und eine Masse von drei bis vier Kilogramm. Das ist aber nur etwa die Hälfte dessen, was ein ausgestorbener Verwandter auf die Waage gebracht hätte, dessen Fossilien Forscher nun entdeckten – ebenfalls in Neuseeland.

Der Name, den das im Fachjournal "Biology Letters" vorgestellte Tier erhielt, spiegelt wider, wie überrascht die Forscher von ihrer Entdeckung waren: Heracles inexpectatus; "Heracles" oder auch Herkules in Anspielung auf den halbgöttlichen Muskelprotz aus der griechischen Mythologie, und "inexpectacus", weil niemand vermutet hatte, dass es einst einen derart großen Papagei gab. Die Forscher um Trevor Worthy von der australischen Flinders University schätzen, dass der Vogel etwa einen Meter groß war und sieben Kilogramm wog. Er soll also fast die Ausmaße des legendären Dodo von Mauritius, einer Taubenart, gehabt haben.

Ein Räuber?

Heracles war mit einem selbst für Papageienverhältnisse besonders kräftigen Schnabel ausgestattet. Was Worthys Kollegen Mike Archer von der University of New South Wales ins Spekulieren bringt: Möglicherweise ernährte sich der Riesenpapagei nicht vegetarisch, wie es bei Papageien überwiegend der Fall ist, sondern war ein Räuber.

Archer verweist auf die neuseeländischen Keas, die zur selben Papageienfamilie wie Kakapo und Heracles gehören. Keas sind nicht nur für ihre Intelligenz berühmt, sondern auch bei Farmern berüchtigt, weil sie die Taktik entwickelt haben, sich auf Schafen niederzulassen und ihnen die Haut aufzureißen, um an das Fett ihrer Opfer zu gelangen. Vielleicht fraß Heracles auch andere Papageien, spekuliert Archer. Dass man erst jetzt ein Fossil dieser Tiere gefunden hat, spreche dafür, dass sie selten waren – und Räuber sind seltener als deren Beutetiere.

Versunkene Welt

Gelebt hat Heracles inexpectatus in der Ära vor 19 bis 16 Millionen Jahren, im frühen Miozän. Seine Überreste wurden in der Fossilienlagerstätte von St. Bathans gefunden, die für Neuseeland eine eminent wichtige Rolle spielt. Die Entwicklung der Fauna und Flora Neuseelands seit seiner Trennung von Australien vor 85 bis 60 Millionen Jahren ist nämlich nur bruchstückhaft bekannt. St. Bathans auf der neuseeländischen Südinsel ist ein Fenster in wenigstens eine der Epochen, die seitdem verstrichen sind.

Es gibt die Hypothese, dass Neuseeland am Übergang vom Oligozän zum Miozän komplett überflutet wurde – und dass die wiederaufgetauchte Doppelinsel von Vögeln neu kolonisiert werden musste und so bis in unsere Zeit eine Bastion der Vögel blieb. Verschiedene Gruppen brachten dort im Anschluss Riesenformen hervor, von den bekannten Moas bis zum Haastadler mit seinen drei Metern Flügelspannweite.

Elster, Mensch und der herkulische Papagei im Größenvergleich.
Illustration: Professor Paul Scofield, Canterbury Museum

Zudem verlernten auf den neuseeländischen Inseln die Angehörigen verschiedenster Vogelgruppen das Fliegen – unter anderem Laufvögel (Moas und Kiwis), Rallen (Takahes und Wekas), Enten oder Papageien. Ohne den Druck bodenbewohnender Raubtiere konnten die Vögel auf das energieaufwendige Fliegen verzichten, so weit die Theorie.

Ganz so einfach sah es aber nicht aus, wie die Fossilienlagerstätten von St. Bathans mittlerweile gezeigt haben. Dort wurden nämlich nicht nur die Überreste zahlreicher Vogelarten gefunden. Die subtropischen Wälder, die die Region im Miozän prägten, waren auch von Krokodilen, Schildkröten, einer Vielzahl von Fledermäusen sowie anderen kleinen Säugetieren bewohnt. Warum diese später verschwunden sind und bis zur Ankunft des Menschen Fledermäuse und küstenbewohnende Robben die einzigen einheimischen Säugetiere Neuseelands waren, ist unbekannt. (jdo, 7.8.2019)

Der Kea (links) und der Kakapo sind zwei heute noch lebende Verwandte von Heracles.
Fotos: University of Auckland / Raoul Schwing und APA/AFP/New Zealand Department of Conservation