Glückliche ältere Paare verlieren ihre Lust an der Eskalation, sagt Martina Gedeck. In "Und wer nimmt den Hund?" (Regie: Rainer Kaufmann) verläuft die Trennung allerdings ruppig.


Martina Gedeck (57), geboren in München, ist eine der populärsten Charakterschauspielerinnen Deutschlands. Sie spielte am Theater und in TV-Filmen, ehe sie mit "Bella Martha", "Das Leben der anderen" oder "Die Wand" große Erfolge im Kino feierte.

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Irgendwann während des Gesprächs mit Martina Gedeck auf einer Terrasse im Münchner Gasteig beginnen in einem nahen Zimmer Streicher zu spielen. Das klingt dann ein wenig wie Filmmusik, die ihre Gedanken über menschliche Paardynamiken akzentuiert. "Das ist ja lustig", sagt die Schauspielerin. In der Komödie Und wer nimmt den Hund? spielt Gedeck eine Frau, die nach 26 Jahren Ehe von ihrem Mann (Ulrich Tukur) wegen einer jüngeren Frau verlassen wird und sich daraufhin zu wandeln beginnt. Zentrales szenisches Setting des Films: eine Trennungstherapie, bei der man begangene Fehler aufdröselt. Sie bietet den beiden deutschen Schauspielgrößen einigen Raum, Bosheiten besonders treffsicher zu platzieren.

STANDARD: Es gibt ein ganzes Genre der Eheschlachten, von "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" bis zum "Rosenkrieg". Warum schauen wir Menschen so gerne beim Streiten zu?

Gedeck: Ein Streit kann sehr unangenehm und gefährlich sein. Wenn man dabei zusehen kann, verliert er jedoch das Bedrohliche. Man lehnt sich zurück und kann darüber lachen. Auch über Reaktionen, die man vielleicht kennt. Mitten in einer Auseinandersetzung ist man zu emotionalisiert, um sich selbst zu beobachten. Oft weiß ich gar nicht, was gerade passiert. Und später frage ich mich dann, warum wir überhaupt gestritten haben. Ich weiß auch von alten Paaren, dass sie oft nicht mehr rekonstruieren können, warum sie in der ersten Hälfte ihrer Beziehung so oft gestritten haben. Das hört dann zum Glück irgendwann auf.

STANDARD: Tatsächlich? Weil man die Reaktionen des Partners dann schon verinnerlicht hat?

Gedeck: Weil sich das, woran man sich abgearbeitet hat, irgendwann auflöst. Streitpotenziale entstehen ja aus dem Gefühl heraus, zurückgesetzt zu sein, nicht genug im Mittelpunkt zu stehen. Wenn man sich länger kennt, gibt es mehr Vertrauen. Ich rede jetzt natürlich von geglückten Beziehungen. Irgendwann lässt man mehr Freiraum zu.

STANDARD: Ein Ideal!

Gedeck: Ja, das wäre das Ideal. Bei diesem Film ist man allerdings eher froh, dass man selbst gerade nicht in der Situation ist. Man hat Freude dabei, zuzusehen, welche Energien freigesetzt werden, wenn die beiden aufeinander losgehen. Wobei ich Virginia Woolf schon sehr verstörend fand – das war nicht mehr lustig.

STANDARD: Es ist bekannt, dass Sie sich sehr präzise auf Ihre Rollen vorbereiten. Wie wichtig ist das bei einer Komödie, gibt es da mehr Raum für das Spielerische?

Gedeck: Genau deswegen muss man die Texte perfekt beherrschen. Wenn man mich im Schlaf wecken würde und auf einen bestimmten Satz anspricht, müsste ich die Antwort darauf wissen. Weil es sich um Alltagstexte handelt, unterschätzt man das oft. Natürlich beschäftige ich mich auch mit der Situation, klopfe ab, wie stark sich ein Gefühl innerhalb einer Szene aufbäumen kann. Um dann die Verletzung der Figur im jeweiligen Moment deutlich zu machen. In diesem Ausprobieren entstehen alle möglichen Variationsmöglichkeiten. Und wenn so viel über Dialog funktioniert, ist es natürlich besonders wichtig, dass man darauf schaut, was der Partner beim Zusammenspiel macht.

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STANDARD: Die Paartherapie im Film wirkt ja recht bühnenhaft. Das Zusammenspiel zwischen den Schauspielern stellt man sich dabei wie ein Tennismatch vor.

Gedeck: Ja, das könnte man damit vergleichen. Oder mit einem Slalom, bei dem man sich die Kelle in die Hand gibt. Man muss besonders gut aufeinander eingestimmt sein. Obwohl wir im Film gegeneinander kämpfen, müssen wir miteinander spielen. Das heißt, es muss auch noch eine andere Ebene da sein. Das ist dann, als würde man ein Doppelmatch spielen beim Tennis, bei dem man jedoch weiß, wie's ausgeht.

STANDARD: Wie hilfreich war es dabei, dass Sie Ulrich Tukur schon gut kennen?

Gedeck: Uli ist am interessantesten, wenn er die ihm eigene Scheu beim Spielen zeigt. Das mag ich besonders. Es gibt immer wieder Momente, wo seine Figur die Fassade fallen lässt und man die Verletzlichkeit dieses Mannes sieht. Er spielt oft Männerfiguren, die versuchen, ihr Selbstbild aufrechtzuhalten. Das glückt dann aber meistens nicht. In dieser Beziehung ist er überhaupt nicht eitel oder ängstlich. Darin liegt eine große Radikalität. Sein Anspruch an sich selbst ist sehr hoch. Was die Kraft und die Stärke anbelangt, können wir uns also auf Augenhöhe begegnen. Nie hat man das Gefühl, der andere buttert einen herunter. Oder dass man sich zu stark am anderen orientiert.

STANDARD: Man steigt also auf höherem Niveau ein ...

Gedeck: Dabei ist er ein ganz anderer Spieler als ich. Seine Figuren erschließen sich mir immer erst, wenn ich den Film sehe.

STANDARD: Wo würden Sie den Unterschied festmachen?

Gedeck: Uli ist, was seine Sehnsucht anbelangt, eher im Realismus angesiedelt. Ich dagegen wohl mehr in der Fantasie. Das ist zumindest die Intention. Ich habe das Gefühl, er versucht die Dinge konkret zu machen, ich hingegen versuche, sie mehr zu öffnen.

STANDARD: Das passt auch zu Ihrer Figur, die neue Seiten an sich entdeckt.

Gedeck: Ja, an Doris interessiert mich auch, wie sie sich von Festlegungen lösen kann. Es ist schön, zu sehen, dass sie ihre Wut in eine neue Form von Freiheit katapultiert. Sie sagt und tut plötzlich Dinge, von denen sie nie gedacht hätte, dass sie sie sagen und tun würde. Das ist etwas Exemplarisches, glaube ich, das viele Menschen erleben. Es war wichtig, dass man die Kraft und Stärke spürt, die in ihrer Ohnmacht liegt. Sie dreht die Verliererrolle um und wird auf diese Weise zu einer Siegerin.

STANDARD: Inwiefern verkörpert sie ein Generationenbild? Sich so stark wie Doris auf die Rolle der Mutter und Hausfrau festzulegen, ist das überhaupt noch zeitgemäß?

Gedeck: Ich arbeite gerade an einem neuen Film, wo genau diese Situation einer Dreißigjährigen widerfährt. Sie bekommt ihr zweites Kind, der Mann macht zeitgleich Karriere, sie will eigentlich wieder in die Arbeit zurück. Als ich das Drehbuch von Und wer nimmt den Hund? las, dachte ich zuerst, das ist die Geschichte meiner Mutter. Meine Mutter hat in den 1960ern ihre Kinder gekriegt, da war es auch schon virulent, dass man nicht zu Hause bei den Kindern bleibt, sondern arbeiten geht. Heute sind die meisten meiner Freundinnen berufstätig, aber trotzdem gibt es immer noch diese Situation.

STANDARD: Also kann man sich nur innerhalb der Beziehung arrangieren?

Gedeck: Es wäre wünschenswert, dass man sich mit dem Partner ins Benehmen setzt und nicht alles schluckt. Im Film haben wir es aber mit einer Frau zu tun, die mit vielem nicht in den Konflikt gegangen ist – und er auch nicht. Man hat die Dinge unter den Teppich gekehrt. So verliert man sich gegenseitig. (INTERVIEW: Dominik Kamalzadeh, 7.8.2019)