Eine ausgeschriebene Kassenstelle und kaum Bewerber: Das betrifft längst nicht mehr nur entlegene Dörfer.
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Wenn in Sollenau jemand stirbt, weiß niemand, wer die Totenbeschau machen wird. Die Gemeinde im südlichen Niederösterreich ist seit mehr als einem Jahr auf der Suche nach einem Allgemeinmediziner – einem, der auch alle Leichen im Ort zur Bestattung freigibt. Früher hatte die Gemeinde dafür einen Rahmenvertrag mit dem ortsansässigen Hausarzt. Doch der ging im Sommer 2018 in Pension, die Stelle wurde bis heute nicht nachbesetzt. Nun muss für jeden neuen Verstorbenen in Sollenau ein Arzt aus der Umgebung gesucht werden, der für die Totenbeschau einspringen kann.

Das ist nur eines der Probleme, vor denen Sollenau nun schon lange steht, und bei weitem nicht das größte. Zwar ordiniert eine Ärztin im Ortszentrum (für Sollenau sind zwei Kassenarztstellen vorgesehen), doch die hat bereits genug zu tun. Patienten berichten von übervollen Wartezimmern, langen Wartezeiten. Nur ausnahmsweise macht die einzige Kassenärztin in Sollenau Gemeindedienste wie Impftage in der Volksschule oder Warzenuntersuchungen vor dem Schwimmunterricht.

Probleme nicht nur auf dem Land

Wie kann es sein, dass in der 6.000-Einwohner-Gemeinde seit 13 Monaten eine Arztstelle unbesetzt bleibt? Bürgermeister Stefan Wöckl (SPÖ) wundert sich auch. "Wenn man das Problem im tiefsten Waldviertel hat, versteh ich das", sagt er. Aber Sollenau? Der Ort liegt an Südbahn und -autobahn in der Nähe der nächsten Stadt: Wiener Neustadt. Schule, Supermarkt, Apotheke – alles da. Und "wirtschaftlich gesehen", sagt Wöckl, sei die Stelle wohl nicht unattraktiv: Das Einzugsgebiet ist groß, über zu wenig Arbeit haben sich die bisherigen Ärzte nie beklagt.

"Wir haben jetzt nicht nur in entlegenen Gegenden Probleme mit der Besetzung allgemeinmedizinischer Stellen", sagt Dietmar Baumgartner, Vizepräsident der niederösterreichischen Ärztekammer. Die Ärztekammer würde seit zehn Jahren immer wieder darauf hinweisen, "dass es eine gröbere Pensionierungswelle gibt und zu wenig neue Mediziner ausgebildet werden", sagt er. In Zukunft werde sich die Situation noch weiter zuspitzen.

Luxusproblem Krankenhausversorgung

Die Ärztekammer fordert, den Hausarztberuf attraktiver zu gestalten – nicht nur, aber auch durch höhere Honorare. Es brauche außerdem schlicht mehr Plätze für das Medizinstudium und weniger bürokratische Hürden. Die Gebietskrankenkasse verweist auf eine bereits erfolgte Anpassung der Honorare und neue Modelle, die die Work-Life-Balance von Kassenärzten "massiv" verbessert hätten.

Das hat in Sollenau aber alles nichts geholfen. Erschwerend kommt hinzu, dass bis vor kurzem auch die Kassenstellen in den Nachbargemeinden Matzendorf und Eggendorf unbesetzt waren.

Bürgermeister Wöckl sieht auch das "Luxusproblem", dass in der Umgebung sehr viele Krankenhäuser vorhanden sind: Viele Ärzte wären lieber dort angestellt, statt sich als Kassenhausarzt selbstständig zu machen.

Hearing für einen Bewerber

Er stößt sich aber auch am bürokratischen Bewerbungsprozess: Nur viermal pro Jahr veranstalten Krankenkasse und Ärztekammer Hearings für potenzielle neue Hausärzte. "Vielleicht bin ich blauäugig", sagt er, "aber wenn ich einen Mitarbeiter suche, und der kommt bei der Tür herein, dann kann der morgen anfangen."

Eigentlich ein Wahnsinn, meint Bürgermeister Stefan Wöckl: "Du trittst als Gemeinde in Konkurrenz zu anderen Gemeinden."
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Dass das bei einer Hausarztstelle nicht so einfach geht, sei ihm klar. "Wenn ich fünf Bewerber habe, verstehe ich das System. Aber bei einem?" Tatsächlich haben sich im vergangenen Jahr – die Stelle in Sollenau wurde in diesem Zeitraum alle drei Monate ausgeschrieben – immer nur einzelne Ärzte beworben. Alle haben nach verschiedenen Schwierigkeiten wieder zurückgezogen.

Zuckerl für den neuen Arzt

Ärztekammer-Vertreter Baumgartner lässt die Kritik nicht gelten: "Es gibt ganz einfach Regeln bei der Vergabe von Kassenplanstellen, und diese Regeln müssen eingehalten werden." Das Prozedere sei im Gesamtvertrag mit der Kasse festgeschrieben und diene der Transparenz. Schließlich geht es um Geld der Allgemeinheit.

Mittlerweile tut die Gemeinde alles, um potenzielle Bewerber anzulocken: Will der neue Hausarzt die alten Praxisräume im Gemeindeamt nutzen, würde Sollenau die Sanierung zahlen und in den ersten beiden Jahren die Miete erlassen. Auch falls die Ordination anderswo im Ort sein soll, würde man eine Lösung für Unterstützung finden. Eigentlich ein Wahnsinn, meint Wöckl: "Du trittst als Gemeinde in Konkurrenz zu anderen Gemeinden." Aber was soll man anderes machen. Er hofft auf die nächste Bewerbungsrunde.

Das nächste Hearing für die freie Hausarztstelle in Sollenau findet übrigens am 3. September statt – Interessierte können sich noch bis zum 14. August um acht Uhr bewerben. (Sebastian Fellner, 7.8.2019)