Kollegialität ist eine Kraftquelle – immer lieb & nett ist damit nicht gemeint.

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Othmar Hill bei der Präsentation seines Buches ""Mein Kompass für stürmische zeiten" mit Birgit Schott, Verlagsleiterin Carl Ueberreuter Verlag.

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Die Wahrscheinlichkeit, dass es morgen wie gestern weitergehen wird, nimmt in allen Bereichen und Branchen der Wirtschaft zügig ab. Das gilt für Geschäftsmodelle wie für die Ansprüche an die betriebliche Fitness. Sich als Betrieb in diese Entwicklung aktiv einfügen zu können, ohne sich in diesem Anpassungsprozess aktionistisch zu verzetteln und zu verlaufen, hängt nach Ansicht des Wirtschaftspsychologen Othmar Hill "in hohem Maße mit von den betriebsklimatischen Gegebenheiten ab."

Sich unter den Kolleginnen und Kollegen wohlzufühlen, sei für die Stabilität wie die Entwicklungsfähigkeit eines Unternehmens nicht minder wichtig wie stets aktuelles Wissen und Können im Zusammenspiel mit einer bürokratisch nicht behindernden Organisation. Aus dieser Perspektive gesehen bekomme Kollegialität verstanden als aufeinander zugehendes, einander unterstützendes, einander inspirierendes Arbeitsverhalten einen herausragenden Stellenwert.

Der humanistisch orientierte und somit der Persönlichkeitsentwicklung verpflichtete Psychologe, der 1975 die heutige Managementberatung Hill International gründete, charakterisiert das Gefühl, sich im Kollegenkreis wohlzufühlen, als Entfesselungskünstler. "Gespürte Kollegialität entfesselt auf der hormonellen Ebene angenehme, belebende Empfindungen und auf der intellektuellen Ebene Initiative und Kreativität. Kollegialität wirkt entspannend, anregend und ermutigend. In ihrem Einfluss auf die körperlich-seelische Gesundheit wie die persönliche und gesamtbetriebliche Leistungskraft kann die Güte der Zusammenarbeit gar nicht hoch genug veranschlagt werden.

Change – andauernd

Hill unterstreicht seine Sichtweise mit dem Hinweis auf die Kernaufgabe heutiger Betriebsführung, die Notwendigkeit zu ununterbrochener Anpassung: War Veränderung bis noch vor gar nicht so langer Zeit ein in sich abgeschlossener Vorgang zwischen langen Phasen der Kontinuität und Stabilität, sei Veränderung heute der tagtäglich zu neuen Überlegungen und Anstrengungen zwingende Zuchtmeister der Unternehmen. Je mehr aufgeschlossene Herzen und Köpfe einem Unternehmen für die Bewältigung dieser Aufgabe zur Verfügung stünden, desto souveräner könne sich der Betrieb mit beidem befassen, mit seiner Zukunft und den täglichen Aufgaben.

"Eine durch Kollegialität motivierte Belegschaft entwickelt eine Leistungsfreude und Leistungskraft, auf die ganz große bis ganz kleine Betriebe schlicht und einfach angewiesen sind, wollen sie in dem turbulenten Innovationstrubel die Nase über Wasser halten." Weshalb ist dem erfahrenen Psychologen die Einsicht in diese Zusammenhänge so wichtig? "Weil unkollegiales Verhalten zehrt, weil es enorm dazu beiträgt, mürbe zu werden, sich seelisch am Arbeitsplatz zu verschleißen, die Lust zu verlieren, gerade auch die Lust, sich mit Neuem auseinanderzusetzen", sagt er. "Führen mir doch Coachings ein ums andere Mal vor Augen, welch ein Aderlass an psycho-mentaler beruflicher Spannkraft und Motivation es ist, in Gedanken an die ‚kollegiale‘ Arbeitsatmosphäre beklommen zur Arbeit zu gehen und sie dank derer frustriert wieder zu verlassen."

Keine Darling-Shows

Natürlich ist Hill bewusst, "im Beruf unter heutigen Bedingungen seinen Mann oder seine Frau zu stehen, ist kein Friede-Freude-Eierkuchen-Geschäft.Da geht es zur Sache, da muss es im Interesse der Sache zur Sache gehen und dabei können und dürfen auch nicht nur Wattebällchen gepustet werden!" Kollegialität heißt für ihn denn auch "beileibe nicht", sich stets und immer mit Samthandschuhen anzufassen. Kollegialität, stellt Hill klar, "hat nichts mit lieb und nett zu tun, dafür aber alles mit gelebtem Anstand. Kollegialität ist anständiges Verhalten." Und das schließt für ihn aus, andere bewusst und gezielt zu verunsichern oder gar zu verletzten, sie aufgrund von Nichtigkeiten anzugreifen und anzufeinden, um sie des eigenen Interesses zuliebe aus dem Gleichgewicht zu bringen und schachmatt zu setzen.

Das diene nicht dem Interesse der Firma und weitergedacht deren innerer Stabilität und schon gar nicht den eigenen Interessen. Wie Vieles, ja vermutlich das meiste im Leben habe auch unanständiges Verhalten ein Janusgesicht: Was vordergründig nützlich erscheine, erweise sich hintergründig nur zu häufig als selbst gesetzte Sprengladung. Gelte doch uneingeschränkt: Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. "Der Versuch, andere hereinzulegen oder ihnen im Bestreben, sich selbst herauszustellen und zu nutzen, Schaden zufügen, erweist sich früher oder später nur zu oft als ‚offene Rechnung’ und damit als häufig teuer zu bezahlender Irrweg."

Betriebsgesundheit

Werde die Bedeutung und Macht kollegialen Verhaltens von der Führung erkannt und als gesundheitsschonendes wie leistungsstimulierendes betriebsklimatisches Element auch anerkannt und vorgelebt, "dann kann Kollegialität in den zu erwartenden geschäftlich-beruflichen Turbulenzen zum menschlich-betrieblichen Kraftquell werden, der die Energie freisetzt, die es braucht, um den Alltag zu meistern und gleichzeitig betriebliche Wege in die Zukunft zu erkennen, auszuloten und einzuschlagen.

Denn die Güte der innerbetrieblichen Kooperation bestimmt maßgeblich mit über die individuelle und die sich daraus ergebende betriebliche Leistungskraft, den Gesundheits- respektive Fehlzeitenstatus der Belegschaft und damit die Anpassungs- und Wettbewerbsstärke eines Unternehmens." Und im Blick auf "das ja nicht gerade überquellende Angebot an qualifizierten Kräften" bedeutet Wettbewerbsstärke für Hill auch: keinen Mangel an gutem Personal. "Spricht sich draußen herum wie es drinnen in einem Unternehmen zugeht, kann das die Personalrekrutierung entweder ganz erheblich erleichtern oder nahezu unmöglich machen". (10.8.2019)