Milano Marittima im August: Zehntausende Italienerinnen und Italiener tummeln sich auf den Stränden dieses kleinen Urlaubsortes an der Oberen Adria, unweit von Rimini. Kinder plantschen im seichten Wasser oder bauen Sandburgen, Mütter plaudern miteinander unter den Sonnenschirmen, Väter informieren sich in der rosafarbenen "Gazzetta dello Sport" über Fußball und Formel 1, und die Jugend tanzt ab dem frühen Nachmittag bis zur totalen Erschöpfung in einer der Stranddiscos ab.

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Matteo Salvini im Wahlkampf. Dienstkleidung: Badehose, Kruzifix und Sonnenbrand.
Foto: Claudia Greco / AGF / picturedesk.com

Unter ihnen: Matteo Salvini, Italiens Innenminister und Chef der rechtsextremen, ausländerfeindlichen Lega. Er ist im Papeete Beach Club seit Jahren Stammgast und hat sein Büro für einige Tage auf den Strand verlegt. Dienstkleidung: Badehose, Halskette mit Kruzifix, Bierbäuchlein – sonst nichts.

Salvini sucht die Menschen – und die Menschen suchen ihn, stellen sich um Selfies an, wollen Autogramme vom starken Mann Italiens, wollen ihm auf die Schulter klopfen. Aber bitte vorsichtig, Sonnenbrand!

Für Aufsehen sorgt Matteo, der sich gern duzen lässt, als er inmitten von Go-go-Girls, Animateuren und Adabeis das DJ-Pult der Open-Air-Disco entert und für das tanzwütige Publikum ausgerechnet die italienische Nationalhymne auflegt. Gegröle, Schlachtgesänge und Feststimmung wie bei einem Fußballspiel – und die italienischen Medien haben ihren nächsten Aufreger: "Innenminister spielt halbnackt den 'Inno di Mameli', trinkt dabei Cocktails ... und singt nicht einmal mit!"

Das Spiel mit den Medien

Ja. Matteo Salvini beherrscht das Spiel meisterhaft. Es ist nicht nur eines um mediale Aufmerksamkeit, sondern vor allem eines, um von anderen, nämlich unliebsamen Dingen abzulenken. Da ist zum Beispiel seine Russland-Affäre. So wie andere Rechtspopulisten – von Donald Trump über Marine Le Pen bis Heinz-Christian Strache – haftet auch dem Lega-Chef der Geruch an, gemeinsame Sache mit Kreml-nahen Kreisen zu machen, sich von ihnen gar finanziell unterstützen zu lassen.

Papeete Club im Sommer 2016: Stammgast Matteo Salvini, damals noch Oppositionsführer, gibt sich selbstlos für Selfies her.
Foto: aryfashionvoice/Instagram

Was in den USA zum Einsatz eines Sonderermittlers und in Österreich indirekt zum Sturz der Regierung geführt hat, das wischt Salvini kurzerhand weg, er zündet einfach eine Nebelgranate und lässt knapp bekleidete junge Damen zur Nationalhymne herumhopsen – und seine Landsleute lassen es einfach zu. Kritische Journalisten werden von den verbalen Schlägern des Innenministers systematisch attackiert und eingeschüchtert.

Anderes Beispiel: die Flüchtlings- und Migrationspolitik. Auch wenn die öffentliche Meinung dazu nicht so eindeutig ist, wie Salvini sie gerne hätte: Er benutzt die ihm im Parlament zustehenden politischen Kräfte, um ein Gesetz durchzuboxen, das Seenotretter kriminalisiert.

Die Aufregung über solche Dinge verklingt schnell, denn stets lässt sich der Lega-Chef etwas Neues einfallen, um von den wirklich wichtigen Dingen abzulenken. Einmal ging er, bloß in Unterhose, in den Garten, um die Blumen zu gießen – wohl wissend, dass die Paparazzi überall lauern. Dann taucht seine Freundin auf, es wird ein bisschen für die Kameras geschmust. Bingo: Die Fotos waren in den Gazetten das bestimmende Thema.

Polizei als Unterhaltungsprogramm für den Junior

Dann die Sache mit seinem halbwüchsigen Sohn. Den nahm ein Polizist mit dem Jetski – einer Art Wassermotorrad – auf Strandpatrouille mit. "Die Polizei als privater Vergnügungsklub für den Salvini-Clan!", titelten die Medien. Okay, Bogen überspannt, das sah dann sogar das Familienoberhaupt ein und entschuldigte sich halbherzig. Dennoch: Ablenkung gelungen, tagelang sprach niemand mehr über die Russland-Affäre – und schon gar nicht über die 49 Millionen Euro Steuergeld, die noch zu Zeiten von Salvinis Vorgänger Umberto Bossi in den Tiefen der Parteikassa verschwanden und die der neue Chef nicht zurückzuzahlen gedenkt.

Und wenn es dann doch wieder ungemütlich wird, dann echauffiert sich Salvini über diese "Scheißzigeunerin", die ihm einmal mit "einer Kugel" gedroht habe. Sie solle lieber aufpassen, denn er werde "mit dem Bulldozer kommen", um ihre Behausung dem Erdboden gleichzumachen.

Egal wo der Innenminister auftritt: Salvini sorgt für Menschenaufläufe – und er versorgt sie mit markigen Sprüchen.
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Alles Worte und Aktionen, bei denen vielen der Mund offen bleibt – doch einem wachsenden Teil von Salvinis Landsleuten gefällt dieser polternde Volkstribun. Seit den Wahlen vom März 2018, als die Lega mit 17 Prozent ohnehin schon ein Rekordergebnis einfuhr, hat sie ihren – theoretischen, in Umfragen ermittelten – Stimmenanteil mehr als verdoppelt: Bei rund 37 Prozent sieht der Onlinedienst "Termometro Politico", der den Mittelwert verschiedener Umfrageinstitute ermittelt, Salvini und seine Truppe in diesen Tagen.

Tendenz: stabil bis steigend, während sein Koalitionspartner, die nicht minder populistische, allerdings nicht so aggressiv auftretende Fünf-Sterne-Bewegung, ihr Elektorat halbiert hat. Rollentausch. Dazwischen, sich nur langsam von der Wahlschlappe von 2018 erholend: die Sozialdemokraten, die einzige Partei traditionellen Zuschnitts, die in Italien immerhin noch ein Fünftel der Wählerinnen und Wähler anspricht. Es waren auch schon weniger.

"Herr über sein eigenes Schicksal"

Politikkommentator Alessandro de Angelis schreibt, Salvini habe derzeit so viel Erfolg, dass er mittlerweile wohl glaube, "Herr über sein eigenes Schicksal" zu sein. In dieses Selbstbild passt gut die hämische Art und Weise, wie der Lega-Chef mit dem Gespenst von Neuwahlen droht. Seit Monaten schon wird wild spekuliert, wann Salvini die Koalition mit Luigi Di Maio endlich platzen lassen wird.

Zunächst hieß es, der Lega-Chef werde die Europawahlen abwarten und dann zum Vernichtungsschlag ausholen. Nun, diese Chance hat Salvini verstreichen lassen – er hat schon längst ein anderes Ziel im Visier: die Regionalwahlen in der traditionell erzroten Emilia-Romagna. Dort läuft im Spätherbst die Legislaturperiode ab, irgendwann zwischen Oktober und Jänner muss gewählt werden. Den Partito Democratico auf Heimatboden zu besiegen und auch dort das Sagen zu haben, das ist die neue Priorität. Danach wäre die Zeit dann wirklich reif für vorgezogene Wahlen auf nationaler Ebene – so die kolportierte Überlegung.

Also ist es fast logisch, das Wahlbüro schon in diesem Sommer in die Emilia-Romagna zu verlegen – nämlich an den Strand von Milano Marittima. (Gianluca Wallisch, 7.8.2019)