Als Archäologin, die in der Rettungsarchäologie arbeitet, ist es Alltag, auf Grabungen unterschiedlichster Zeitstellungen – von Jungsteinzeit bis Neuzeit – tätig zu sein. Noch nicht ganz alltäglich sind allerdings Einsätze, die die Zeit des Zweiten Weltkriegs betreffen. In der Zwischenzeit werden die materiellen Bestandteile von Orten dieser Epoche als historisch relevante Quelle seitens der Bodendenkmalpflege eingestuft, weshalb das ehemalige Kriegsgefangenenlager in Gneixendorf (Stadt Krems) für insgesamt vier Monate, Ende des Jahres 2018 und im Juli 2019, mein Arbeitsort war.

Eine Straße durch das ehemalige Kriegsgefangenenlager

Heute ist wahrscheinlich vielen Pendlern, die aus Richtung Zwettl oder Langenlois nach Krems die Schnellstraße B37 nehmen, nicht bewusst, dass sie täglich durch das ehemalige Kriegsgefangenenlager hindurchfahren. In dem kleinen Wäldchen links und rechts der Straße sind bis heute Reste der Baracken des Truppenlagers im Unterholz zu erkennen. Die vielbefahrene Schnellstraße wurde in den 1980er-Jahren durch das Gelände des ehemaligen Lagers hindurch gebaut; der nun geplante Ausbau der Straße ist Anlass der durchgeführten Grabungen, da Teile der Baracken für die Erweiterung der Straße abgerissen werden mussten.

Das Stalag XVIIb

Das Mannschaftsstammlager (Stalag) XVIIb Krems-Gneixendorf wurde im Oktober 1939 eingerichtet. Laut Lagerlisten waren Franzosen, Belgier, Polen, Jugoslawen, Russen und ab 1943 auch US-Amerikaner hier interniert. Wie viele Kriegsgefangene gleichzeitig untergebracht waren, ist nicht mehr vollständig nachvollziehbar. Für den Sommer 1941 sind maximale Belegungsstärken von über 60.000 Mann angegeben. Viele dieser Kriegsgefangenen wurden allerdings zur Arbeit herangezogen und dezentral an ihrem jeweiligen Einsatzort untergebracht. Administrativ liefen sie über das Stalag XVIIb, weshalb so hohe Zahlen zu finden sind. Sicher ist jedoch, dass das Stalag XVIIb das größte Kriegsgefangenenlager der "Ostmark" war.

Das Kriegsgefangenenlager war in den Häftlingsbereich, einen Verwaltungsbereich, das Militär- beziehungsweise Truppenlager der Wehrmacht und ein Lazarett untergliedert. Das Häftlingslager liegt heute im Bereich des Flugplatzes Gneixendorf. Bei den Grabungen, die entlang der Schnellstraße B37 lagen, wurden Ausschnitte des Truppenlagers erfasst.

Das Gelände des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers Stalag XVIIb. Links: Hinterlegte Luftbilder vom 20. 4. 1945 mit den Bereichen der Grabungen 2018 und 2019 und den unterschiedlichen Lagerbereichen. Rechts: Detailansicht der Grabungen mit dem aktuellen Straßenverlauf im Hintergrund und den bei der Grabung dokumentierten Strukturen. Es wird farblich zwischen Baracken, Kanalisationssystem und Straßen unterschieden.
Foto: Luftbilddatenbank Dr. Carls GmbH / HES/ basemap.at/ ASINOE GmbH

Die Grabungen

Bei den Grabungen wurden Teile von insgesamt fünf Baracken sowie Straßen, Platzbefestigungen und Abschnitte des Kanalisationssystems freigelegt und dokumentiert. Dazu wurden alle Strukturen fotografiert, eingemessen und beschrieben. Von ausgewählten Objekten wurden auch 3D-Modelle erstellt. Die Baracken waren ursprünglich circa 65 Meter lang und recht uniform gebaut; im Detail wurde aber immer wieder eine individuelle Umsetzung des Bauschemas festgestellt.

Screenshot des 3D-Modells von Baracke 1 der Grabung 2018. Es handelt sich um die am vollständigsten freigelegte Baracke. Nachdem die Streifenfundamente, der Stiegenaufgang im Süden und die Reste des ehemaligen Sanitärbereichs im Südosteck der Baracke freigelegt waren, wurde von dem Komplex ein 3D-Modell erstellt.
Foto: CrazyEye OG

Das Kanalisationssystem umfasste sowohl die Abwasserabführung aus den Baracken als auch die Oberflächenentwässerung der Straßen und des Platzes. Es wurde nach den bei der Grabung festgestellten Befunden offensichtlich während der Nutzungszeit mehrfach umgebaut.

Überraschend war ein zickzackförmiger Graben, bei dem es sich wahrscheinlich um einen Splitterschutzgraben handelt. Diese Gräben dienten als Ersatz für Bunker oder Ähnliches, damit man sich bei einem Luftangriff in Sicherheit bringen konnte. Diese Gräben sind für den Häftlingsbereich belegt und auch gut im Luftbild erkennbar, im Bereich des Truppenlagers war dies eher überraschend. In diesem Graben wurden Reste von Sandalen gefunden, die – aufgrund der Größe – wahrscheinlich als Damensandalen bezeichnet werden können.

Splitterschutzgraben, nachdem die Verfüllung entfernt wurde (links), und eine rechte Damensandale nach der groben Reinigung des Fundes (rechts).
Foto: ASINOE GmbH

Polnische Glasfläschchen, französische Knöpfe, britische Medikamente

Aber nicht nur Schuhe gehören zu der großen Menge an Fundmaterial. Der Großteil kann als ehemaliger Bestandteil der Baracken angesehen werden wie Fenster- und Türschnallen, Ofenkacheln und Alarmglocken. Aber auch Objekte der vormaligen Inneneinrichtung waren vorhanden. Abgesehen davon waren kaum Gegenstände im Fundmaterial, die das Leben der ehemaligen Wachsoldaten widerspiegeln – zu denken wäre hier zum Beispiel an Bestandteile der Uniform oder eindeutig der Wehrmacht zuzuordnendes Geschirr und Besteck. Zahlreich waren hingegen Funde, die aufgrund ihrer Herkunft den Kriegsgefangenen zugeordnet werden können.

Funde aus dem ehemaligen Stalag XVIIb. Lysolfläschchen (links), Fragment eines Fläschchens der Firma "Lassek i Syn Kraków" (Mitte) und Aluminiumknopf einer französischen Uniform (rechts).
Foto: ASINOE GmbH

Interessant ist ein Ensemble von Gegenständen, die im Humus gefunden wurden. Es handelt sich um zehn Glasfläschchen, zwei Glasdöschen, ein kleines Reagenzglas und einen Erlenmeyerkolben. Zwei braune Fläschchen weisen den Schriftzug "Lysol / Rec° Trade Mark" auf. Auf dem Boden von zwei weiteren Fläschchen ist "Wellcome Chem.Works" zu lesen. Der Hersteller Lysol Limited ist klar in England verortet, die Wellcome Chem.Works waren international tätig und hatten sowohl in den USA als auch in England Standorte. Insgesamt sind die vorgefundenen Objekte wahrscheinlich als Ausstattung einer "Apotheke" zu sehen: Bei Lysol handelte es sich um ein Desinfektionsmittel, die Firma Wellcome war ebenfalls im pharmazeutischen Bereich tätig. Hinzu kommen der Erlenmeyerkolben und das kleine Reagenzglas. Hier stellt sich die Frage, wie und wann dieser Komplex zusammengekommen ist: während der Nutzungszeit des Lagers über Rot-Kreuz-Pakete oder kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges?

Ebenfalls aufgrund der Provenienz interessant ist ein hellblaues Fläschchen. Als erhabene Schrift ist "Lassek i Syn Kraków" (Lassek und Sohn) zu lesen. Es handelte sich um eine kleinere Firma aus Krakau, die Lebens- und Genussmittel, aber auch Parfüm und Ähnliches herstellte. Eine spannende Frage ist, ob das Fläschchen über die polnischen Kriegsgefangen oder über Mitglieder der Wachmannschaften nach Gneixendorf gekommen ist.

Eindeutig zu einer französischen Uniform gehört ein Aluminiumknopf. Auf der Vorderseite ist "Equipments Militaires" und auf der Rückseite "A M & CIE" sowie "Paris" zu lesen. Spannend ist, dass all diese Gegenständen im Lagerbereich der Wehrmacht gefunden wurden.

Und am Ende kommt der Bagger

Nachdem die Bestandteile des ehemaligen Stalag XVIIb im geplanten Baubereich freigelegt und dokumentiert waren, wurden die Reste der Barackenfundamente, der Kanalisation und der Straßen abgerissen.

Die Barackenfundamente werden am Ende der Grabung abgerissen, um das Baufeld frei zu machen.
Foto: ASINOE GmbH

Übrig bleibt unsere Dokumentation des Lagerbereichs. Das, was nun nicht mehr physisch vorhanden ist, wird so für zukünftige Forschungsfragen virtuell bewahrt. Ebenso wie die geborgenen Funde, die einen Einblick in die Alltagswelt der Menschen im Lager geben. (Judith Benedix, 8.8.2019)