Suicide: Martin Rev (links) und der 2016 verstorbene Alan Vega.

Foto: Mute/Warner

Zuletzt verhalf Bruce Springsteen dem Duo mit einer von ihm auch live gern gespielten Coverversion des Songs Dream Baby Dream, einer Single aus dem Jahr 1979, die er auf High Hopes von 2014 interpretierte, zu einer schönen Form der Altersvorsorge. Das US-Duo Suicide, das diesen Klassiker einer Sehnsuchtsromantik schrieb, gilt heute zumindest in Musikerkreisen als visionäres Unikat der New Yorker Szene der 1970er-Jahre.

Die längste Zeit ihrer "Karriere" sahen sich Sänger Alan Vega und Maschinist Martin Rev allerdings mit Unverständnis oder Ignoranz konfrontiert. Ähnlich wie das an dieser Stelle jüngst angesichts seines runden Geburtstags gewürdigte Debüt von Iggy Pop und The Stooges von 1969 haben wir es mit dem ebenfalls titellosen Debüt von Suicide von 1977 mit einem jener musikalischen Grundlagenwerke zu tun, die bei ihrem Erscheinen gnadenlos untergegangen sind.

Befreiungsschlag vom klassischen Rock

Ein Schicksal, das man sich etwa mit The Velvet Underground & Nico von 1967, mit The Silver Apples von The Silver Apples (1968) oder mit Trout Mask Replica von Cpt. Beefheart & His Magic Band (1969) teilte. Alle boten damals neue, unerhörte Sounds, die erst ab Ende der 1970er-Jahre im Zeichen von Punk und speziell New Wave Vorlagen für einen Befreiungsschlag vom klassischen Rock darstellten.

Suicide machten es sich dabei besonders schwer. Immerhin zerlegten sie klassischen Rock‘n‘Roll von Buddy Holly, Elvis oder diversen wahnsinnigen Rockabilly-Hinterwäldlern aus den Südstaaten nicht mit elektrischen Gitarren, die damals zur Zeit der Punkexplosion im New Yorker Untergrund den Ton angaben.

VJ#1

Der musikalische Kopf Martin Rev vertraute zum Ärger des Publikums im legendären Club CBGB‘s bei der Verschrottung altvertrauter Riffs lieber auf zu jener Zeit leistbar gewordene Synthesizer und Billigkeyboards sowie monotone Grundmuster. Alan Vega gab darüber mit hallverzerrter Stimme den psychotischen Elvis als Fabrikarbeiter, der in der bis heute unerreichten, über zehnminütigen, von einem pulsierenden Keyboardmotiv und zischelndem und pochendem Drumcomputer begleiteten Höllenfahrt Frankie Teardrop von der Arbeit nach Hause kommt, Frau und Kind und schließlich sich selbst umbringt.

Kill All Hippies!

Statt des alten Versprechens der Freiheit und der Hoffnung ging es in dieser Kunst um Wut, Entfremdung und Selbstzerstörung, angesichts des Vietnamtraumas ein folgerichtiger Schritt. Es wollte halt nur niemand hören.

Auch bei anderen Stücken wie Ghost Rider oder Rocket USA zerlegten Suicide mit einfachsten Mitteln bei größtmöglicher Wirkung im Sinne einer Verknappung zu comicshaften, grob skizzierten Einzelbildern den Rock‘n‘Roll-Mythos und/oder Amerikanischen Traum. Zwischen die parolenhaften Texte gesetzt wurden Schreie der reinen Verzweiflung: "Ghost rider, motorcycle hero/ Hey baby, baby, baby he’s a-screamin’ the truth/ America, America is killing its youth."

Einfluss auf britische Bands wie The Human League

Speziell britische Bands wie The Human League, Depeche Mode oder Soft Cell bauten auf dieser Musik einige Jahre später auf, The Jesus and the Mary Chain holten sie zurück ins mit Feedback verzerrte Gitarrenland. Alan Vega ist 2016 mit 78 Jahren gestorben, Suicide von 1977 ist nun wieder neu aufgelegt worden. Was soll man sagen: Pflichtplatte. (Christian Schachinger, 8. 7. 2019)