Die großen Tiere sind bei Slifkin ausgestopft – die kleinen biblischen Wesen kann man aber sehr wohl lebend bewundern.

Foto: Lissy Kaufmann

"Leben die etwa?" Der Besucher Daniel mag nicht glauben, was er da vor sich sieht: Der Museumsführer Yedidia Brauner, ein Mann mit langem Bart und Kippa, hat eine Heuschrecke aus dem Terrarium geholt, die nun auf seiner Hand sitzt. "Klar leben die", sagt er. "Willst du es überprüfen?" Daniel schüttelt den Kopf.

Dabei ist Anfassen hier ausdrücklich erlaubt, im biblischen Naturkundemuseum in Beit Shemesh, einer religiösen Stadt zwischen Jerusalem und Tel Aviv. In einer umgestalteten Fabrikhalle im Industrieviertel der Stadt begegnen Besucher dem Tierreich der Bibel. Viele der größeren Tiere wie Löwe, Gepard und Steinbock sind hier aus Platzgründen nur ausgestopft. Die kleineren aber sind quicklebendig, kriechen, flattern und hoppeln.

Koschere Heuschrecken

Auch die Heuschrecken sind aus der Bibel bekannt, als eine der von Gott gesandten Plagen im zweiten Buch Mose. "Warum sind von Millionen von Insekten ausgerechnet die Heuschrecken koscher?", fragt Brauner.

Die Besuchergruppe aus den USA rätselt, um sich dann zu einer rationalen Antwort durchzuringen: Wenn Heuschrecken in Massen auftauchen und die Ernte ruinieren, bleibt den Menschen als Nahrung nur noch die Heuschrecke selbst. Und laut modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen, erklärt Brauner, sind Heuschrecken zudem für Menschen die nahrhafteste Speise schlechthin.

Keine Eisbären und Pinguine

Gegründet hat das biblische Naturkundemuseum vor fünf Jahren der Rabbiner Natan Slifkin, von vielen auch der "Zoo-Rabbiner" genannt. Ein orthodoxer Mann mit schwarzer Kippa und kurzem Bart. Er übernimmt die Einführung zu Beginn des Rundgangs. "Dieses Museum ist das Ergebnis meiner lebenslangen Leidenschaft für Tiere. Als ich fünf war, brachten meine Eltern mich erstmals in den Zoo. Sie holten mich wieder ab, als ich zwölf Jahre war. Und heute in diesem Museum geht es um die Verbindung zwischen Bibel und Tierreich."

Slifkin spricht Englisch mit britischem Akzent, er redet schnell, er hat viel zu erzählen. Warum Eisbären, Pinguine und Koalas nicht in der Bibel auftauchen, zum Beispiel. "Die Tiere der Bibel sind die Tiere des historischen Israel, und das sind nicht dieselben, die wir von anderen Kontinenten kennen. Für uns ist das ganz offensichtlich, aber vor 200 Jahren ist das keinem aufgefallen. Weswegen die Bibel oft entsprechend dem lokalen Tierreich übersetzt wurde."

Aus dem Shafar der Bibel haben die Europäer einen Hasen gemacht. In Wirklichkeit verbirgt sich dahinter jedoch ein Schliefer, ein moppeliges, graubraunes Tierchen mit kurzen Beinen. In freier Wildbahn kann man es bis heute beispielsweise im Naturreservat Ein Gedi am Toten Meer entdecken. Doch warum haben es dann Tiere wie der Elefant und die Giraffe in die Bibel geschafft, obwohl sie nie in Israel heimisch waren? "Sie tauchen auf als Geschenke für König Salomon", erklärt Slifkin. Die Tiere wurden wohl von Afrika aus per Schiff verschickt. Auf Mosaiken alter Synagogen im Land seien die Tiere noch heute zu entdecken, so Slifkin.

Biologie als Tabu

Als Kind besuchte er in seiner Heimat England eine ultraorthodoxe Schule. Biologie war tabu. Die Evolutionsgeschichte sowieso. Erst später, in der Talmudschule, wo er als junger Mann die religiösen Schriften studierte, begann er, sich mit den Widersprüchen zwischen Zoologie und Judentum zu befassen. "Ich fand her aus, dass es seit vielen Jahrhunderten eine grundlegende Spaltung im Judentum gibt zwischen jenen, die Gott eher in der natürlichen, und jenen, die ihn eher in der übernatürlichen Welt erkennen. Ich gehöre zum rationalistischen Lager, ich sehe Gottes Wirken in der Natur."

Später studierte Slifkin in Israel jüdische Geschichte und promovierte über rabbinische Herangehensweisen an die Zoologie. Mittlerweile bezeichnet er sich als modern-orthodox, betreibt einen Blog und schreibt Bücher. In einem davon geht es um die Evolutionstheorie. Es wird deshalb von einigen ultraorthodoxen Rabbinern boykottiert. "Ich dachte, wenn ich mich auf Texte großer Rabbiner beziehe, würden sie es akzeptieren. Sie fühlen sich aber bedroht durch die moderne Welt, durch moderne Wissenschaft."

Zwar verkauft Rabbi Natan Slifkin sein Buch im Büro des Museums. In der Ausstellungshalle selbst aber ist nichts zum Thema Evolution zu finden. Absichtlich. Schließlich sollen gerade auch die Strengreligiösen hierherkommen: "Die ultraorthodoxe Gemeinde lebt überwiegend in Städten, sie schauen kein Fernsehen und konsumieren auch sonst keine Medien. Sie wissen daher wenig über die Natur."

Auch deshalb war es Natan Slifkin wichtig, den Museumsbesuchern die Tierwelt ganz nahe zu bringen. (Lissy Kaufmann aus Tel Aviv, 8.8.2019)