Den intensivsten musikalischen Moment seines Lebens hat David Crosby auf dem Klo erlebt. Völlig zugekifft hörte er den Sound von Jazzsaxofonist John Coltrane, der ob der Intensität seines Spiels auf der Bühne zu verbrennen schien, auch noch am stillen Ort des Konzertlokals. Coltranes Solo im roten Bereich schien die Klotüre aufzubrechen. Wie Crosby das Saxofonspiel mit seiner Stimme imitiert, lässt gleich am Anfang von A. J. Eatons Dokumentation David Crosby: Remember My Name ahnen, dass es in dem korpulenten Mann mit dem Walrossbart immer noch tüchtig brodelt.

Protest gegen die US-Regierung nach seinem Geschmack: David Crosby 1970 mit Joint und einer "Flaggenpistole", die ihm ein Fan geschickt hat.
Foto: Henry Diltz

Das ist umso wichtiger zu sehen, als der Sänger, Gitarrist und Songwriter in der von Arte am Freitag (23.05 Uhr) ausgestrahlten Doku oft als reuiger Sünder auftritt. Gelegenheit dazu gibt ihm ein aktuelles Interview mit Cameron Crowe (Almost Famous), das als roter Faden fungiert.

Crosby hat nach wie vor die Stimme eines Engels. Mit seinem hohen, hellen Gesang hat er als Gründungsmitglied The Byrds ebenso mitgeprägt wie Crosby, Stills, Nash & Young. Warum dennoch kein Mitglied dieser Gruppen heute noch mit ihm spricht, ist eine der Fragen, die in der Doku aufgeworfen werden. Eine andere ist, wie es kommt, dass Crosby überhaupt noch lebt.

Inspiration für "Easy Rider"

Berühmt ist Crosby schließlich nicht nur als Musiker, der Dennis Hoppers Roadmovie Easy Rider, beginnend beim Outfit, mitinspiriert hat. Ab den 80er-Jahren tauchte Crosby, gezeichnet von seinem bevorzugten Cocktail aus Kokain und Heroin, in den TV-Nachrichten zunehmend wegen Drogenmissbrauchs, Waffenbesitzes und Fahrerflucht auf.

Crosby, Stills, Nash & Young im Jahr 1974 auf US-Tour.
Foto: Joel Bernstein

Die Bilder dazu, die harte Drogen jeglichen Glamours berauben und Keith Richards wie einen Schulbuben ausschauen lassen, gibt es auch in der Doku zu sehen. Davor hat Crosby aber einiges zu erzählen. Von seiner Kindheit, der Mutter mit humanistischen Idealen und einem prägenden gemeinsamen Konzertbesuch. Und von seinem Vater, dem berühmten Kameramann Floyd Crosby (High Noon), an den er als liebesunfähig erinnert. Noch vor der Karriere des Musikers Crosby beginnt jene des Troublemakers, der schon in der Schule Aufmerksamkeit um jeden Preis sucht.

Crosby erzählt vom Durchbruch mit dem Folk-Rock der Byrds, der explosiven menschlichen Mischung bei Crosby, Stills, Nash & Young ("vier Männer in einem Raum für drei"), von schlechtem Sex und dem Verlust der Freundin bei einem Autounfall. Er besucht den kalifornischen Laurel Canyon, dessen berühmte Singer-Songwriter-Szene er mitbegründet hat, erinnert sich an die turbulente Beziehung zu Joni Mitchell. Von falscher Sentimentalität keine Spur. Stattdessen versucht er einen esoterischen Anflug des Fotografen Henry Diltz, Schöpfer legendärer Cover, schon im Keim zu ersticken. Und natürlich geht es um Drogen. Harte Drogen, die ihm "kein High, sondern Betäubung" verschaffen sollten, zu denen er aber auch seine Freundinnen anfixte.

Keine Ausreden

Um Ausreden ringt Crosby erst gar nicht. Stattdessen beschreibt er sich, allerdings aus der Position des Geläuterten, als Ungustl von kolossalem Ausmaß. Als Problemkatze mit riesigem Ego und winzigem Hirn, die wegen Kleinigkeiten aufbrauste. Einspruch wird keiner erhoben. Die berühmtesten Weggefährten wie Neil Young tauchen nur in Archivschnipseln auf, Crosby behält in eigener Sache die Deutungshoheit.

Trailer zu "David Crosby: Remember My Name".
Sony Pictures Classics

Dazwischen immer wieder Musikaufnahmen, in denen das Genie Crosbys auch heute noch aufblitzt. Nach zwei, drei Herzinfarkten – so genau scheint er das nicht mehr zu nehmen – geht der bald 78-Jährige nach wie vor auf Tour. Ungebrochene Meisterschaft erscheint im Film als Grund dafür ebenso glaubhaft wie ökonomische Notwendigkeit.

Angesichts wiederholter Selbstgeißelungen mit geröteten Augen stellt Interviewer Crowe, einst Musikjournalist, schließlich eine Frage, die sich früher oder später auch beim Zuschauen stellt: Warum klopft Crosby bei manchem vergrämten Weggefährten nicht einfach an die Tür, um sich zu entschuldigen? Eine plausible Antwort bleibt Crosby schuldig. Stattdessen ein Film, der zugleich Vermächtnis und der Versuch einer Entschuldigung ist. Zum Schluss die gemeinsame Arbeit an einem neuen Album mit jungen Musikern. Ein zwiespältiges Ende. Aber eines, das passt zur Problemkatze mit der Engelsstimme. (Karl Gedlicka, 8.8.2019)