Die gute Nachricht zuerst: Im Vergleich zu anderen Städten hat Wien ein verdammt gut ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz. 38 Prozent der Bewohner nutzen Bim, Bus, S-Bahn und U-Bahn. In Berlin sind es 27 Prozent, in Kopenhagen nur 18 Prozent. Die schlechte Nachricht: Nicht alle Wiener profitieren vom guten Öffi-System. In den Randbezirken gibt es teils massiven Aufholbedarf.

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Eine jüngst veröffentlichte Studie des Verkehrsplanungsbüros Traffix im Auftrag der Wiener Arbeiterkammer zeigt, dass 300.000 Wiener keine optimale Versorgung mit kurzen Intervallen, kurzen Wegen zur Haltestelle oder schnellen Linien haben. Vor allem die Außenbezirke sind davon betroffen. Obwohl gerade dort der Bevölkerungszuwachs am höchsten ist und diese Regionen auch noch weiterwachsen werden – bis 2035 um rund 15 Prozent.

Da ist es nicht verwunderlich, dass es just in den vier Außenbezirken Donaustadt, Floridsdorf, Hietzing und Liesing noch kein Parkpickerl gibt, sprich, dass man nach wie vor im gesamten Bezirk gratis parken kann.

Wienweite Zone

Ernst Nevrivy, Bezirksvorsteher in Donaustadt, dem großen Flächenbezirk jenseits der Donau, weiß jedoch, was ihm dräut. Laut Smart-City-Strategie der Stadt Wien ist es das Ziel, den Anteil der Autofahrer weiter zu reduzieren. Bisheriges Instrumentarium: die Parkraumbewirtschaftung. Umgangssprachlich: das Parkpickerl. Es war ursprünglich eine Erfindung für die innerstädtischen Bezirke. Eingeführt wurde es in den 1990er-Jahren in der City. Bewohner des jeweiligen Bezirks können die Plakette lösen und damit im eigenen Wohnbezirk parken. Alle, die von außerhalb kommen, müssen zahlen. Langfristiges Ziel ist, das Pickerl auf ganz Wien auszurollen.

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Nevrivy ging nun mit einem Vorstoß in die Offensive, der auf und ab diskutiert wird: Er forderte im STANDARD zusätzlich ein kostenloses wienweites Pickerl. Wiener sollen damit überall in Wien parken dürfen, Einpendler jedoch nicht mehr.

Was er mit dem Vorstoß erreichen will? In allererster Linie geht es ihm wohl darum, die Donaustädter zu befrieden. Er pocht nämlich darauf, dass der 22. Bezirk bis auf die wienweite Lösung pickerlfrei bleibt. Wachgerüttelt hat er mit seiner Idee die Verantwortlichen im Rathaus. Sogar sein Parteifreund Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) schlug nun schon vor, eine flexiblere Zonenhandhabung umzusetzen. Er sagte in der "Presse", er könne sich ein Zonenmodell vorstellen, das nicht nur die Bezirksgrenzen berücksichtigt, sondern auch die Lebenssituation der Menschen. Sprich: Es sollen zum Beispiel Verbindungen zwischen Wohn- und Schulstandort für die Kinder geschaffen werden. Verkehrsstadträtin Birgit Hebein (Grüne) will einen "Prozess" starten und alle an einen Tisch holen, von Bezirken bis Sozialpartnern.

Täglich stauen sich Arbeiter und Angestellte nach Wien rein.
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Alle sollen mitreden? Verkehrsexperte Harald Frey von der TU Wien kann da nur den Kopf schütteln. "Das klingt gefährlich. Wenn viele mitreden, dann kommt nix raus", sagt er zum STANDARD. Denn es könne passieren, das Ziel dabei aus den Augen zu verlieren. Frey ist vom jüngsten Kommentar des Bürgermeisters nicht begeistert. Er nennt es "fahrlässig", einen Schulweg mit einem Auto zu verknüpfen: "Da sind noch immer Bilder in den Köpfen der Politiker, die uns zeigen, dass es schwierig wird, die Zielsetzungen zu erreichen."

Für Frey liegen die Zahlen auf dem Tisch. Je größer der Bezirk sei, wo es das Parkpickerl gibt, desto höher sei der Anteil des Binnenverkehrs. In weiterer Konsequenz bedeutet das: Führt man ein wienweites Pickerl ein, steigt der Binnenverkehr automatisch, weil der Anreiz wieder gegeben ist, im Fremdbezirk zu parken. Zwar habe man eine – rechtlich noch zu prüfende Maßnahme – gegen die Einpendler gefunden, der zusätzliche Binnenverkehr würde den positiven Effekt aber zunichtemachen, sagt Frey.

Sein Vorschlag ist daher, das Parkpickerl auch in den Flächenbezirken einzuführen, die Zonen dort allerdings kleinteiliger zu planen. Die Donaustadt würde in mehrere Gebiete unterteilt werden. Bewohner von Hirschstetten würden nur für diesen Stadtteil eine Plakette erwerben können.

Dass der Binnenverkehr zwischen den äußeren Bezirken schon jetzt massiv ist, zeigt eine Berechnung vom Büro Traffix. Bleiben wir bei der Donaustadt. Dort pendeln 24 Prozent der Arbeitspendler in die Nachbarbezirke Floridsdorf oder Simmering. Die Studie gibt die dringende Empfehlung ab, die Außenbezirke untereinander besser mit Öffis zu verbinden, um der Blechlawine Herr zu werden.

Pendlerstrategie fehlt

Noch massiver fällt die Kritik von Traffix am Öffi-Verkehrsnetz des Wiener Umlands aus. Laut Studie "liegt die Situation in der Region Wien ziemlich im Argen": Zugverspätungen, Ausfälle und Überfüllung von Zügen gehörten im Großraum Wien zum Alltag. Gerügt werden auch die Verantwortungsträger in Wien und Niederösterreich. Es fehle an einer glaubhaften Strategie der Vernetzung der Verkehrssysteme in der Ostregion. Pendler und Gemeinden würden zwischen den Zentralverwaltungen in Wien und St. Pölten ausgespielt.

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Auch Harald Frey sieht Versäumnisse im Umland – etwa beim Ausbau der S-Bahnen. "Man ist fünf bis sieben Jahre zu spät dran", sagt er. Frey nimmt nicht nur die Landespolitiker in die Pflicht, sondern jeden einzelnen Bürgermeister samt seiner Widmungspolitik. Da entscheide sich nämlich, ob autoaffin gebaut werde oder nicht. Würden Neubauprojekte mit zwei oder gar drei Stellplätzen pro Einheit bestückt, beeinflusse das bereits die Verkehrsmittelwahl.

Traffix legt Zahlenmaterial vor. Für den Ausbau der Öffis in den Außenbezirken sei eine Milliarde Euro vorzusehen. Im Maßnahmenpaket inkludiert: 37 Straßenbahnkilometer, acht neue Busverbindungen und eine Stadtregionalbahn.

Eine Milliarde Euro ist viel Geld. Es wird sich weisen, wie viel die Stadt lockermachen kann, um ihre politischen Zielvorgaben einzulösen. Zum Vergleich: Der umstrittene Lobautunnel ist mit zwei Milliarden Euro veranschlagt. (Rosa Winkler-Hermaden, 8.8.2019)