Hugo Steiner wurde am 26. Februar 1878 im niederösterreichischen Retz als jüngstes Kind in eine kinderreiche Kaufmannsfamilie hineingeboren. Sein Vater Leopold stammte ursprünglich aus Böhmen und hatte die Retzerin Karoline Singer geheiratet. Steiner besuchte in Linz die Handelsakademie. Nach seinem Militärdienst hielt er sich ein halbes Jahr in London auf, um Englisch zu lernen, kehrte anlässlich des Todes seines Vaters 1898 jedoch nach Österreich zurück. Noch im selben Jahr trat er als sogenannter Eleve in den Dienst der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn. An seinem Dienstort Oderberg (tschechisch Bohumín) lernte er seine Frau kennen, die er 1907 heiratete und mit der er zwei Söhne hatte. 1911 übersiedelte die Familie nach Bisamberg, wo Steiner für den den Rest seines Lebens wohnte.

Seinen Lebensunterhalt als Bahnbeamter bestreitend, begann er sich um diese Zeit für die Plansprache Esperanto zu interessieren, die für sein weiteres Leben eine zentrale Rolle spielen sollte. Die sogenannte Welthilfssprache Esperanto, 1887 von dem Warschauer Augenarzt Ludwig Zamenhof begründet, war rund um den Globus gerade stark im Aufschwung begriffen. Auf dem 8. Esperanto-Weltkongress in Krakau 1912 lernte Steiner den Initiator der Plansprache noch persönlich kennen. Bald schon hielt Steiner selbst Esperantokurse ab und gründete eine Esperanto-Gruppe in Korneuburg.

Aŭstrio – Eldorado de esperantistoj

Der Erste Weltkrieg hemmte die Esperantobewegung nur vorübergehend. Schließlich war sie ja auch ein Stück weit Friedensprojekt, die Plansprache sollte zur Völkerverständigung beitragen. Nicht von ungefähr hatten sich auch die beiden Friedensnobelpreisträger Bertha von Suttner und Alfred Hermann Fried dafür starkgemacht. 1923 gründete Steiner die Zeitschrift "Aŭstria Esperantisto", die er über viele Jahre redigierte. Ab 1924 stand er der österreichischen Esperanto-Landesorganisation, die später den Namen "Österreichischer Esperantobund" trug, vor. Nicht zuletzt seinem Engagement ist es zu verdanken, dass sich Österreich in der Zwischenkriegszeit zu einem wahren Eldorado für Esperantisten entwickelte. Esperantokurse wurden über den Rundfunk ausgestrahlt und in Tageszeitungen abgedruckt, daneben gab es eigenen Unterricht in der Plansprache für Bahn- und Postbedienstete sowie für Polizisten und Gendarmen.

Das Symbol der Esperantisten, der grüne Stern, durfte offiziell auf Uniformen getragen werden, und ab Mitte der 1920er-Jahre wurde Esperanto sogar als Wahlfach an Schulen angeboten. Esperantisten traf man in den unterschiedlichsten weltanschaulichen Gruppierungen an. Der spätere Bundespräsident Franz Jonas etwa redigierte ab 1926 die sozialdemokratische Esperanto-Zeitschrift "La Socialisto", auch die Eltern seines späteren Amtskollegen Heinz Fischer hatten sich bei einem Esperantokurs kennengelernt. Im rechten politischen Spektrum wiederum war es beispielsweise Johann Schober, in mehreren Regierungen Minister und zweimal Bundeskanzler, der sich in der Esperantobewegung engagierte. Und bereits 1924 hatte Kardinal Piffl den in Wien stattfindenden Internationalen Katholischen Esperantokongress mit seiner Anwesenheit beehrt.

Steiner mit seinen Söhnen auf dem Weg zum 20. Esperanto-Weltkongress 1928 in Antwerpen.
Foto: Bildarchiv Austria

Mehr als ein Museum: Steiner und das "Internacia Esperanto-Muzeo"

Auf dem 19. Weltkongress 1927 in Danzig wurde angeregt, eine zentrale Esperanto-Bibliothek einzurichten. Steiner nahm die Anregung sogleich auf und erwirkte, nicht zuletzt aufgrund seiner guten Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten, die Bereitstellung von Räumlichkeiten für das Projekt. Die im Entstehen begriffene Sammlung wurde zuerst im Keller des Landwirtschaftsministeriums in der Liebiggasse untergebracht, 1928 übersiedelte sie in ehemalige Stallungen im damaligen Rechnungshofgebäude in der Annagasse. Im Jahr darauf übernahm schließlich die Nationalbibliothek die Sammlung als Sonderbestand, und am 1. August 1929 wurde in Anwesenheit von viel Prominenz im Prunksaal der Nationalbibliothek das Internationale Esperantomuseum eröffnet. Zuerst im sogenannten Augustinerstöckl der Hofburg untergebracht, erfolgte 1930 die Übersiedlung in großzügigere Räumlichkeiten im zweiten Geschoß der Neuen Burg. Die Bezeichnung "Museum" ist eigentlich missverständlich, denn nach Steiners Konzept sollte es sich um ein umfangreiches Dokumentationszentrum mit Bibliothek und Archiv handeln. Anlässlich der Eröffnung des Museums wurde Steiner zum Regierungsrat ernannt, 1935 erfolgte die Verleihung des Hofratstitels. Einen weiteren Höhepunkt in seinem Wirken stellte der 28. Esperanto-Weltkongress dar, der im August 1936 in Wien über die Bühne ging. Zum umfangreichen Rahmenprogramm gehörte unter anderem eine Aufführung der Operette "Im weißen Rößl" auf Esperanto ("La blanka ĉevaleto") sowie eine Österreich-Rundreise, das betreffende Plakat versprach neĝkovritaj montoj (schneebedeckte Berge) und bluaj alpolagoj (blaue Alpenseen).

28. Esperanto-Weltkongress in Wien 1936: Steiner mit den Siegerinnen des Schönheitswettbewerbs im Rahmen eines Balls in der Hofburg.
Foto: Bildarchiv Austria

Verbot und Neubeginn

Während unter dem Stalinismus in der UdSSR die Esperantobewegung zwar nicht verboten war, zahlreiche Esperantisten jedoch im Lager endeten oder ermordet wurden, stand das nationalsozialistische Deutschland dem als "Judensprache" diffamierten Esperanto auch offiziell feindlich gegenüber. Unmittelbar nach dem "Anschluss" von 1938 wurde das Wiener Esperantomuseum geschlossen und sein Vermögen beschlagnahmt. Eigentlich plante das Reichssicherheitshauptamt, das Material nach Berlin abzutransportieren, doch legte sich dagegen der kommissarische Leiter der Nationalbibliothek, Paul Heigl, quer. Der Bestand überdauerte so den Weltkrieg unbeschadet in den Kellern der Hofburg.

Die Gestapo durchsuchte Steiners Haus in Bisamberg und nahm ihn selbst in eine zweimonatige "Schutzhaft". Steiners Herkunftsfamilie war jüdisch, er selbst jedoch 1903 in Brünn zum Katholizismus konvertiert. Wie er einer massiveren weiteren Verfolgung durch die Nationalsozialisten entging, ist nicht restlos geklärt. Bis Kriegsende stand er offenbar unter Beobachtung. Schreckliche Gewissheit ist jedenfalls, dass zwei seiner Schwestern von den Nationalsozialisten ermordet wurden, eine weitere überlebte Theresienstadt.

Nach Kriegsende setzte sich Steiner umgehend für die Wiedereröffnung des Museums ein. Nach Vorsprache bei Bundeskanzler Leopold Figl bekam er im dritten Stock des Michaelertrakts der Hofburg drei Räume zugewiesen, die allerdings erst saniert werden mussten. Auch deshalb dauerte es noch eine Weile, bis das Museum 1947 erneut seine Pforten öffnete.

Steiner 1964 im Esperantomuseum.
Foto: Bildarchiv Austria

"Lastajn salutojn"

In den folgenden Jahren arbeitete Steiner, der auch mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet wurde, bis knapp vor seinem Tod rastlos an der Katalogisierung der stetig wachsenden Sammlung. Zudem verfasste er ab den 1920er-Jahren eine Fülle von Büchern, darunter Esperanto-Lehr- und -Wörterbücher sowie Reiseführer auf Esperanto, und gestaltete einschlägige Radiosendungen. Beeindruckend ist auch die Liste der von ihm in die Plansprache übertragenen Werke, darunter Johann Nestroys "Frühere Verhältnisse" oder Otto Habsburgs "Gedanken zur Staatsform". Steiner verstarb am 1. August 1969 in Korneuburg. Als er wenige Tage später auf dem städtischen Friedhof beigesetzt wurde, hielt der Präsident des Österreichischen Esperantobunds, Emil Vokal, seine Grabrede auf Esperanto, und auf den Schleifen des Kranzes, den das Esperantomuseum gestiftet hatte, entbot ihm die Einrichtung, die sein Lebenswerk darstellte, letzte Grüße – "Lastajn salutojn" – in seiner Herzenssprache. (Hubert Bergmann, 14.8.2019)