So sieht Entspannung aus.

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Bei den letzten Zügen sehen Jakob Schuberts Unterarme aus wie von Michelangelo gemeißelt. Da treten Muskeln hervor, die der Normalverbraucher nicht einmal aus dem Biologieunterricht kennt. Schubert zaubert sich eine Kletterwand hinauf. Perfekte Körperpositionierung, endlose Griffkraft, richtige Entscheidungen: 36 Züge schafft der Tiroler, ehe er ins Seil fällt. Als fünf Minuten später der letzte Konkurrent beim 30. Zug ins Leere greift, wird es laut. 5.000 Kletterfans in der Olympiaworld Innsbruck bejubeln Schubert, er ist Vorstieg-Weltmeister 2018.

Einige Tage später ist er auch noch Weltmeister in der Kombination. Eine Draufgabe. "Der Titel im Vorstieg war das große Ziel", sagt der 28-Jährige. Neben Schuberts Lieblingsdisziplin Vorstieg (lange Routen mit einem Zeitlimit von sechs Minuten) wird in den Disziplinen Bouldern (kurze, schwierige Routen ohne Sicherung), Speed (eine sehr kurze, immer exakt gleiche Route, bei der es nur um die schnellste Zeit geht) und Kombination (eine Gesamtwertung der Einzeldisziplinen) geklettert.

International Federation of Sport Climbing

Die Kombination wurde für Olympia erfunden. 2020 ist Klettern erstmals dabei, Damen und Herren bekommen aber nur je einen Medaillensatz – also die Kombi-Lösung, die die Platzierungen in den drei Einzelbewerben miteinander multipliziert. Die meisten Kletterstars können der Speeddisziplin wenig abgewinnen, aber für die fünf Ringe fügt man sich. In Schuberts Fall: "Bei der heurigen WM ist das große Ziel, mich für Olympia zu qualifizieren, also in der Kombination unter die Top sieben zu kommen."

Das Umfeld

Diese WM steigt ab 13. August in Japan. Trotz Kombi-Fokus kann Schubert nicht aus seiner Haut: "Alles andere als eine Medaille wäre im Vorstieg eine Enttäuschung." Glücklich, wer das sagen kann. Schubert muss. Schließlich klettert er schon ein Jahrzehnt in der Weltspitze – obwohl er erst mit zwölf Jahren zu dem Sport kam. "Wahrscheinlich hab ich schon ein gewisses Talent mitgebracht, aber es war auch Glück", sagt Schubert. "Zeitgleich mit mir haben einige Gleichaltrige angefangen. Wir sind beste Freunde geworden, haben uns viel beigebracht." Dazu kam das "super Umfeld" mit den Trainern Reini Scherer und Rupert Messner.

Solche Überhänge werden im Vorstieg geklettert.
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Schubert trainierte als Jugendlicher mit Kletterlegenden und Weltcupathleten. "Das pusht nochmal anders, wenn man im gleichen Jahrgang wie David Lama ist, der einfach das Wunderkind schlechthin war – und immer noch der talentierteste Kletterer, den ich jemals gesehen habe", sagt er. "Irgendwann boulderst du mit Kilian Fischhuber und merkst: 'Boah he, ich schaff den Boulder auch, und er tut sich da auch nicht leicht. Der gewinnt aber einen Weltcup.' Das gibt einem 16-Jährigen extrem viel Motivation und Selbstvertrauen."

Und dann Training, Training, Training. Dieses hat im Klettern zwei Grenzen. Anfangs sind es die Unterarme, die schnell zu unbrauchbarem Milchsäure-Beton werden. Wenn die Arme erst zu Renaissance-Marmor geformt sind, gibt es nur eine Hürde: "Am liebsten will man noch viel mehr trainieren, aber das lässt die Haut manchmal nicht zu."

Der Fels

Wie jeder, der bei Großmeister Scherer in die Lehre ging, kletterte auch Schubert früh am Fels. Mehr Spaß, mehr Übung: "Klettern war schon sehr früh das Wichtigste für mich. Ich habe mir in der Schule oder auf der Uni nicht schwergetan, daher habe ich mir das leisten können." 2009 schaffte der damals 18-Jährige seine erste Route der Schwierigkeit 9a auf der derzeit bis 9c gehenden französischen Skala. Das Schöne am Fels: "Im Wettkampf kann die Route gar nicht so schwer sein wie eine, die ich in Spanien wochenlang probiere."

Boulderflug.
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2012 wurde Schubert in Paris erstmals Vorstieg-Weltmeister, es folgten vier Weltcup-Gesamtsiege, ein Vizeweltmeistertitel 2016, am Fels Routen bis zu 9b. Viele Jahre, viel gewonnen, viel gelernt: "Ich bin hauptsächlich mein eigener Trainer – wissen, wann man zurückfahren muss, ist sehr wichtig. Es geht nicht immer darum, mich komplett zu vernichten." Zum Training motivieren müsse er sich ohnehin nicht: "Ich lebe für das, es macht mir Spaß." Vor allem seit der Eröffnung des Kletterzentrums Innsbruck – "wahrscheinlich die beste Halle der Welt" – sei er nie widerwillig zum Training gefahren.

Wie die meisten seiner Kollegen hat Schubert für die Kombination extra Speed-Schichten eingelegt. Was, wenn die Olympia-Qualifikation gleich im ersten Anlauf gelingt? "Dann würde ich wahrscheinlich ein paar Weltcups auslassen. Ich könnte zum ersten Mal, seit ich zwölf bin, im Sommer zwei, drei Wochen Urlaub machen. Und dann vielleicht mal im Herbst nach Spanien zum Felsklettern." (Martin Schauhuber, 9.8.2019)

Eine von Schuberts schwierigsten bisher geschafften Routen: La Planta de Shiva.
MAMMUT