Johann Tetzel, Marktschreier, notorischer Wüstling und Kommerzgenie: Portrait nach einem Kupferstich aus dem 16. Jahrhundert.

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Es sind erdrückende Zeitumstände, die den Dominikaner Johann Tetzel (1460?–1519) zu einer missliebigen Figur der an Schurken ohnehin nicht armen Kirchengeschichte gemacht haben. Tetzel, je nach Überlieferung Sohn eines Goldschmieds oder Fuhrmanns aus Pirna, wirkte als Prediger. Zum Star der Hochrenaissance avancierte er, als er mit Anbruch des 16. Jahrhunderts wie ein Marktschreier die deutschen Lande bereiste und für den Ablass warb.

Mit dem Ablass, genannt "Indulgenz" oder römische Gnade, hatte die Mutter Kirche ein besonders lukratives Geschäftsfeld eröffnet. Durch sein Inkrafttreten wurden den Sündern deren zeitliche Strafen erlassen. Wohlgemerkt: Der zahlenden Kundschaft wurde das Schmoren im Fegefeuer erspart.

Die Sünden selbst waren damit keinesfalls vergeben. Durch die Praxis der Ablassbriefe erhielten die Missetäter eine Bescheinigung ausgehändigt, dass sie straffrei gingen. Und weil sich das Prinzip für Petri Nachkommen als unfassbar einträglich erwiesen hatte, dehnte man die Indienstnahme des spirituellen Assekuranzwesens auch auf die verstorbenen Angehörigen aus.

Wahres Verkaufsgenie

Tatsächlich dürfte Johann Tetzel ein wahres Verkaufsgenie gewesen sein. Sein späterer Widersacher Martin Luther strickte eifrig mit an der Legende vom korrupten Pfäfflein, etwa durch Herausgabe der Anti-Tetzel-Schrift "Wider Hans Worst". In dieser wird dem Prediger ein höchst unsolider Lebenswandel unterstellt. Ehebruch, Spielbetrug – überhaupt scheint Tezel über eine nie versiegende Lendenkraft verfügt zu haben. Er habe, merkt eine zeitgenössische Stimme an, "die Hurerey" einfach nicht sein lassen können. Ob der umtriebige Gottesdiener sich womöglich selbst einen Ablasszettel ausgestellt hat, ist nicht überliefert.

Geschäftliche Aktivitäten wie diejenigen Tetzels haben Luther zur Formulierung seiner 95 Thesen getrieben. Johann Tetzel half zweifellos mit, die Reformation ins Leben zu rufen. Die Ablassbriefe wurden in einer latent von schlechtem Gewissen geplagten Zeit von den (Gut-)Gläubigen wie Wertpapiere gehandelt.

Den frisch erworbenen Zaster leerte der findige Versicherungsverkäufer in eine eisenbeschlagene Truhe, den "Tetzelkasten". Um das Geld wurde nicht nur der römische Petersdom errichtet. Tetzel-Gönner wie der berüchtigte Erzbischof von Mainz, Albrecht von Brandenburg, bezahlten damit ihre beim Bankhaus Fugger in Augsburg angelaufenen Schulden. Das zu stopfende Loch resultierte aus der Ämterkumulation, die Albrecht entgegen päpstlicher Weisung betrieben hatte.

Geld im Kasten klingt...

Pönalzahlungen, wohin das Auge blickt. Für ebenso unschlagbar wie unsterblich darf Tetzels Verkaufsslogan erachtet werden: "Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt." Über das Verhelfen zur ewigen Seligkeit hat sich unsere christlich geprägte Kultur auch nach Luther den Kopf zerbrochen. Eine besondere Volte des Ablasshandels liegt im Konzept der vorsorglichen Entsühnung. So soll einmal ein Ritter bei Tetzel einen Ablassbrief "für noch zu begehende Sünden" erworben haben, nur ihm ihn daraufhin desto genüsslicher ausrauben zu können.

Bis hinein in die liberale, bürgerliche Gegenwart scheint es die Sorge der Besitzenden zu sein, Gutes zu tun, indem sie gemeinsinnig handeln. In säkularer Zeit ist die Zuversicht auf das ewige Leben kein Objekt, bei dem man auf ein Steigen des Tauschwerts hofft.

Ganz abgesehen vom "Greenwashing" großer Konzerne: Heutige Ablassformen ähneln Akten von Verschwendung. Diese sind dazu da, allen gut anzuschlagen, und zwar auf symbolischer Ebene. Weil es "für alle nicht reicht", sollen die materiell Abgehängten zum Beispiel in den Genuss umfangreicher Kunstsammlungen kommen, man denke an das Stiftungswesen. An die Stelle des ewigen Seelenheils ist somit die gute Nachrede getreten. Ihr Sinn ist komplett diesseitig: Er besteht darin, dass der Nachruhm sich bereits zu Lebzeiten günstig auf die edlen Spender auswirke. (Ronald Pohl, 10.8.2019)