Im Gastkommentar widmet sich Sprachphilosoph Paul Sailer-Wlasits US-Präsident Donald Trumps toxischer Sprache. Einem anderen Aspekt der Debatte nach den Attacken von El Paso und Dayton, dem Janusgesicht des modernen Nationalstaats, widmet sich Georg Cavallar.

Als ob Free Speech ein Synonym für Schrankenlosigkeit wäre, setzt US-Präsident Donald Trump seine verbalen Übertretungen fort. Wie ein sich über Gesetze stellender boshafter Monarch trägt er dazu bei, dass die politische Sprache verarmt. Weit und breit ist niemand aus den Reihen der Republikaner auszumachen, der den Mut und den Willen hätte, ihm Einhalt zu gebieten; zu klar scheint das ökonomische und machtpolitische Kalkül zugunsten der Grand Old Party zu sein.

Trumps Tweets sind kein harmloses Gezwitscher.
Cartoon: Michael Murschetz

Worte als Angriffswaffen

Verbale Übertretungen, superlativische Ausdrucksweise und ins Monumentale gesteigerte Sprache markierten den Beginn seines Präsidentschaftswahlkampfes. Seine toxische Sprache ist seither dem täglichen Futterbrei der Boulevardmedien beigemischt. Am Anfang stand auch das Schüren ethnischer Vorurteile durch beständiges Warnen vor einer "hispanischen Invasion", gefolgt von pauschaler Kriminalisierung der Mexikaner. Dass er kritische Frauen vielfach als "dogs" und "animals" bezeichnete, zählt angesichts des Sprachentgleisungskontinuums, in dem er sich als Erster Mann der USA eingerichtet hat, fast schon zu den niederschwelligen Diskurspraktiken.

Das Wort: Schatten der Tat

Doch derartige Sprachentwicklungen schreiten nicht einfach nur unbegrenzt fort. An ihrem Höhepunkt angelangt, bereiten sie eine neue Dimension vor: jene, in der die Tat das Wort überschreitet. Letztendlich bleibt jedoch der Übergang vom Wort zur Tat ein qualitativer Sprung. Dieser ist auch nicht monokausal erklärbar, sondern entspricht Vorgängen von sich gegenseitig verstärkenden Sprechakten und kumulativen Wirkungen von Sprachhandlungen. Er entspringt aus semantischen Auf- und Überladungen sowie daraus ableitbaren Handlungsanweisungen. Es könnte sein, dass der Täter von El Paso "präsidentielle Weisheiten" wie die Stereotype der hispanischen Invasion wahrgenommen, verinnerlicht und wie ein Echo in sein mutmaßliches Manifest eingefügt hat. "Das Wort ist der Schatten der Tat", wusste bereits Demokrit.

Täuschung durch Inszenierung

Um die rechtsextremen Weißen und rassistischen Nationalisten der USA nicht in den Kontext des Terrors stellen zu müssen, wird das Gerücht eines psychopathischen Einzeltäters in die Welt gesetzt. Verdrängen ist bequemer, als sich den Fragen nach unliebsamen gesellschaftlichen Trends aussetzen zu müssen.

Sobald es aus sozialen, kulturellen, ethnischen oder religiösen Gründen zu einem gesellschaftlichen Zusammenbruch der Symmetrie bestehender Anerkennungsverhältnisse kommt, werden sprachliche Grenzen brachial übertreten. Häufig tritt dann auch die populistische Schlagseite der Politik mit ihrer verschärfenden Rhetorik zutage und reduziert die Komplexität der Welt mittels einer verkürzenden Sprache, mit deklarativen Phrasen und politisch-emotiven Schlagwörtern. Ein Weg, auf dem die Sprache des Ressentiments nahezu mühelos ethnisiert werden kann, wie die Kommunikationscodes der White Supremacists zeigen.

Free Speech und die Würde des anderen

Der Prozess von der Sprachgewalt zur Gewalt durch Sprache und von dieser zur gewaltsamen Tathandlung vollzieht sich nicht mit Notwendigkeit. Doch der latente, in weiten Teilen der US-Gesellschaft schwelende Hass wird durch Sprache gleichsam "aufgeweckt", er wird manifest.

Überall dort, wo das Performative seine Wirkung entfaltet und beginnt, zur Sprachhandlung zu werden, besteht Verletzungsgefahr durch Sprache. An dieser Stelle bricht auch ein Konkurrenzverhältnis auf: jenes zwischen der Forderung nach unumschränktem Recht auf freie Meinungsäußerung und dem obersten Gebot des Schutzes der Menschenwürde. Wenn der Präsident vier demokratischen Parlamentarierinnen empfiehlt, dorthin zurückzukehren, "woher sie gekommen sind", wird diese Bruchlinie sichtbar. Redefreiheit und die Würde des anderen werden niemals völlig zur Deckung gebracht, man kann sie einander nur behutsam annähern. Letzteres zählt nicht zu den Stärken der gegenwärtigen US-Administration.

Verbaler Radikalismus

An historischen Wendepunkten, zu Zeiten dramatischer Veränderungen der politischen Landschaften und entlang verstärkt zutage tretender gesellschaftlicher Bruchlinien, festigte sich der Verbalradikalismus im realpolitischen Vokabular. Als Phänomen setzt er bereits vor den sprachlichen Wendepunkten im politischen Diskurs an. Bereits bevor die Sprache rhetorisch umschlägt und in veränderter Wort- und Satzsemantik sichtbar wird, ist der Verbalradikalismus hinsichtlich seiner Stoßrichtung festgelegt. Nicht als konkrete syntaktische Form einer Aussage, sondern als Intention eines sprachlichen Missbrauchs, als verbale Abweichung und bewusste Übertretung des Bedeutungshorizonts. Seine geistige Herkunft reicht Jahrtausende zurück; unter verschiedenen Rahmenbedingungen reifte er immer wieder nach, adaptierte die Mechanismen seines Wirkens, sodass er sowohl in totalitären als auch in demokratischen Gesellschaftsformen sein Überleben sicherte. (Paul Sailer-Wlasits, 10.8.2019)