Für Gastkommentarautor Georg Cavallar, Dozent an der Universität Wien, ist klar: Trump wird weiterhin sein Spiel spielen – und einen modernen Nationalstaat mit einem Janusgesicht auf seiner Seite haben. Sprachphilosoph Paul Sailer-Wlasits wiederum widmet sich der Hate Speech.

Die Tatsachen liegen auf der Hand: ein Massaker in El Paso, ein Präsident, der davor vier Politikerinnen der Demokraten, allesamt "People of Color", verbal angegriffen hatte, ein Attentäter und Mörder, der sein "Manifest" auf der "Hass-Kloake" "8chain" online stellt, auf der die üblichen rassistischen Verschwörungstheorien auf wenig originelle Art wiedergekäut werden. Offensichtlich wollte er tatkräftig jene "Invasion" verhindern, vor der Donald Trump immer wieder gewarnt hat.

Trump wird weiterhin sein Spiel spielen: Einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen seinen Äußerungen und den Taten des Mörders von El Paso werden seine Kritiker schwer herstellen können. Grundtenor Trumps: "Ein Einzelfall eines Verrückten, der mich ganz falsch verstanden hat!" Oder er behauptet einfach, es seien andere, die angeblich "eigentlichen" Gründe die Ursachen der Bluttat: die Fake-News, das Internet, die Demokraten.

Protest gegen den Besuch Donald Trumps in El Paso.
Foto: APA/AFP/MARK RALSTON

Indirekter Zusammenhang

Hat Trump ganz massiv zu einem Meinungsklima beigetragen, das die Grundlage und den Hintergrund für die offensichtlich ideologisch motivierte Tat lieferte? Ja. Aber der Zusammenhang ist nur ein indirekter. Und an der Entstehung eines Meinungsklimas sind noch viele andere Akteure beteiligt. Außerdem wird man doch seine Meinung sagen dürfen, auch wenn diese missverstanden werden kann, oder? Trump und Anhänger werden verschweigen, dass es zu seinem Spiel gehört, Grenzen des Anstands, des politisch Korrekten und der Humanität auszuloten und immer wieder zu überschreiten – und das nachher zu verharmlosen oder zu leugnen.

Kann Trumps Verhalten entschuldigt werden? Sicher nicht. Aber man kann versuchen, es zu erklären und zu verstehen, nämlich mit der Überlegung, dass der moderne Nationalstaat ein Janusgesicht hat – manchmal demokratisch, meistens aber nationalistisch oder sogar rassistisch. Außerdem neigt dieser Staat dazu, Eindeutigkeit und (ethnische) Homogenität in einer sozialen Welt herstellen zu wollen, die durch Vielfalt und Ambivalenz gekennzeichnet ist. So jedenfalls die Thesen des Soziologen Zygmunt Bauman.

Demokratie und Ausgrenzung

Wie schaffen wir eine kohärente politische Gemeinschaft? Mit Ausgrenzung, etwa von Minderheiten. Diese Politik ist gleichsam Begleitmusik der Entstehung des modernen, allmählich demokratischer werdenden Nationalstaats. Auch auf die beiden ältesten Demokratien der Welt, auf ein Einwanderungsland wie die USA trifft das zu. Deren Eliten gehörten seit Anbeginn zu den White, Anglo-Saxon Protestants, die sehr lange sehr erfolgreich dafür gesorgt haben, ihre dominante Position nicht zu verlieren.

Der Schriftsteller Pankaj Mishra hat unlängst argumentiert, dass es sich dabei um ein globales Phänomen handeln dürfte, das auch auf Myanmar oder Indien zutreffe. "Die Ausgrenzung von rassischen und ethnischen Barbaren war in der modernen Geschichte von zentraler Bedeutung für die Praxis der Demokratie: ein Weg zum Aufbau einer Bürgergesellschaft und sozialer Solidarität." Mishra verweist darauf, dass Hitler sowohl die US-Einwanderungsgesetze bewunderte – welche die "foreign bodies" ausgrenzten – als auch die britischen Imperialisten als Vertreter einer Herrenrasse ("Trump Plays the Race Card. So What?", Bloomberg, 19. 7. 2019). Je unübersichtlicher die Moderne, desto größer offenbar der Wunsch nach Einfachheit, Homogenität und Übersichtlichkeit und desto geringer die Fähigkeit, Komplexität, Vielfalt und Ambivalenz auszuhalten.

Trumps Mitverantwortung

Diese Überlegungen entlassen Trump nicht aus seiner Mitverantwortung an dem Massaker. Aber sie erklären vielleicht, warum er ungern auf eine Ressource verzichtet, die zum modernen Nationalstaat dazugehört – und mit der er leicht Stimmen fangen kann. Unerwünschte Nebenwirkungen gibt es durchaus, aber um die dürfen sich andere kümmern. Gewalt, Ausgrenzung und Intoleranz gehören tendenziell genauso zum modernen Staat wie zu anderen Gemeinschaften, seien sie religiöser oder ideologischer Natur. Die Ausgrenzungen erfolgen meistens viel subtiler als bei Trump – aber sie sind trotzdem vorhanden.

Gibt es eine funktionierende Alternative zum modernen Nationalstaat? Wie sieht diese aus? Oder kann der Nationalstaat so gestaltet werden, dass er ohne dieses Janusgesicht auskommt? (Georg Cavallar, 9.8.2019)