Begegnet ihrem wahren Ich – Alcina (Cecilia Bartoli)

APA

Auch das Regiegeschenk der Salzburger Pfingstfestspiele, Alcina, verleiht der diesjährigen sommerlichen Operndramaturgie keine humorige Note. Nach Peter Sellars zwar putzig anzusehender, jedoch lobenswert ernst gemeinter Warnung vor Klimawandel und Plastikinvasion (Idomeneo) mordete Medea. Die Heiterkeitsmuskulatur muss sich nun aber weiter (bis Offenbachs Orphée) gedulden. Schließlich wird ab Sonntag ebenso George Enescus Œdipe eher die dunkle Seite der Menschenpsyche ausleuchten, die auch in Georg Friedrich Händels epischer Alcina von Tragik und Schwermut beherrscht wird.

Hier zaubert zwar eine Schöne, wie es ihr gefällt. Besucher werden in Stein, Baum, Welle oder Borstenvieh verwandelt. In einem Hotel der von ihr herbeimodellierten Illusionen vernebelt sie allen die Sinne. Als Hotelchefin vergnügt sie sich denn auch mit versklavten Herren der Erschöpfung, um sich ihrer Attraktivität zu versichern.

Der Spiegel zerbricht

Auch Alcina allerdings unterliegt den Gesetzen der Zeit, dieser Mutter der Endlichkeit. Schließlich zerbricht der Spiegel, der ihre Macht symbolisiert: Alcina liegt da als der Haarpracht beraubte gezeichnete Frau, deren Zeit abgelaufen ist. Die sich über die Bühne schneeflockenartig ausbreitenden Glassplitter ergeben jenes finale Bild, das von der subtilen Handschrift von Regisseur Damiano Michieletto eine Ahnung gibt.

Zuvor war mitunter ja auch recht Triviales zu besichtigen. Der Wunsch, die Metamorphosen, denen Alcina ihre Umwelt unterzieht, plastisch zu gestalten, verführt den Regisseur zu gewissen Grellheiten. Ein Schönheitsfehler, der die wahre Stärke der Arbeit jedoch nicht unter sich begräbt. Vor und hinter einer Spiegelwand, die als Schleier zwei (manchmal pantomimische) Handlungsebenen sichtbar werden lässt, rollt Michieletto den Figuren den Zeitteppich großzügig aus. Sie können ihre Befindlichkeiten vertiefend darstellen.

Vom Alter gezeichnet

Händels Musik ist ja formal der Wiederholung verpflichtet; was einmal ausgesprochen wurde, muss mehrmals bekräftigt werden. Der präzise, variantenreiche Zugang zu den Da-capo-Momenten verhindert hier aber szenischen Leerlauf. Nur ein Beispiel:_Alcina begegnet ihrem vom Alter gezeichneten Spiegelbild und damit jener Wirklichkeit, die sie zu manipulieren sucht.

Hilfreich bleibt immer auch Intensität. Cecilia Bartoli ist wie zu Pfingsten jene dynamische Advokatin dieser zwischen Siechtum und Grausamkeit changierenden Frau. Ihrer vibratoseligen Art, Töne aufzuladen, stehen Intensität und Geläufigkeit entgegen, welche den Emotionen im Lyrischen wie auch im Rausch der Koloraturen Präsenz verleihen.

Filmische Naturgewalt

Um Bartoli herum reüssiert vokal vor allem Kristina Hammarström (als Bradamante). Alle anderen meistern die Partien respektabel: also Philippe Jaroussky als Ruggiero, Sandrine Piau als Morgana, Christoph Strehl als Oronte, Alastair Miles als Melisso, Sheen Park als Oberto.

Die Musiciens du Prince-Monaco unter der Leitung von Gianluca Capuano klingen zunächst etwas flach. Im Laufe des Dramas entsteht jedoch melancholische Grandezza, die effektvoll ins Pointiert-Aufwühlende aufsteigen kann. So finden sich die auch filmisch entfesselten Naturgewalten produktiv, aber dem Sujet entsprechend humorfrei, abgebildet. (Ljubisa Tošic, 9.8.2019)