Brad Pitt spielt den Stuntman Cliff Booth, seine Karriere hängt durch, und außerdem versteht er die sich wandelnde Welt rundum nicht mehr.

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Kultregisseur Quentin Tarantino (56) blickt in seinem neuen Film zurück.

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"Classicism" steht auf dem schwarzen T-Shirt, das Quentin Tarantino zum Pressetermin der Deutschland-Premiere in Berlin trägt. Bei all dem Rummel um seine "leading stars" Brad Pitt, Leonardo DiCaprio sowie die strahlende Margot Robbie fällt das Accessoire nicht groß auf. Doch der Begriff, der den gezielten Rückgriff auf ästhetische Vorbilder meint, passt wie angegossen zu einem Regisseur, der in seinen Filmen immer wieder auf die Nischen der Unterhaltungsindustrie zurückkommt, um sie mit großer Geste als Vintage-Kultur zu veredeln.

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Once Upon a Time … in Hollywood, der im Sergio-Leone-Märchenmodus angelegte Titel legt es nahe, macht da keine Ausnahme, sondern führt Tarantinos Prinzip der Aneignung wieder einmal eindrücklich vor Augen. 1969, im "Summer of Love" angesiedelt, liegt der Brennpunkt des mehr als zweieinhalb Stunden langen Films auf zwei Handwerkern des Kinos, sogenannten "professionals".

Ihnen ist der große Durchbruch versagt geblieben: Rick Dalton (DiCaprio), ein mit seiner stockenden Karriere hadernder TV-Darsteller, und sein Stuntman und "Driver" Cliff Booth (Pitt). Roman Polanski und seine Frau Sharon Tate, das mondäne Paar New Hollywoods, wohnen gleich überhalb von Dalton am Cielo Drive nordwestlich von Beverly Hills. Allein, deren schillernde Welt bleibt für den Routinier unerreichbar fern.

Liebeserklärung an frühere Zeit

Gleich nach der Premiere in Cannes feierte die Kritik Once Upon a Time ... in Hollywood als wehmütige Liebeserklärung an eine Ära, in der das Filmgeschäft noch der Geist stilistischer Wagnisse und Exzesse umwehte. "Ich weiß nicht, ob ich es einen Liebesbrief nennen würde", sagt Tarantino darauf angesprochen im Interview. "Es gibt eine romantische Schlagseite in dem Film, aber man kann auch eine zynische Qualität darin entdecken."

Zu viel würde ihn nämlich von den Denkmustern seiner Underdog-Figuren trennen: "Ich stimme mit Rick im Grunde in überhaupt nichts überein. Ich liebe ihn als Figur, aber er spricht nicht für mich. Ich bin erklärtermaßen Fan von Spaghetti-Western, selbst von Winnetou-Western. Rick wäre nicht in der Lage, irgendetwas davon zu Ende zu sehen."

Tatsächlich stehen Dalton und Booth der Kultur der Zeit skeptisch bis ablehnend gegenüber. Dalton ist mit den No-Nonsense-Westernhelden des klassischen Kinos groß geworden und verehrt ihr großtuerisches, männliches Gehabe. Booth, ein Korea-Krieg-Veteran, wirkt wie die lässige Variation auf eine paternalistische Clint-Eastwood-Figur.

Hippies mussten vergehen

Für die Hippies, die die Straßen von Los Angeles bevölkern, haben beide kaum Sympathien. Tarantinos Perspektive erhält durch die konservative Schlagseite seiner Helden eine ironische Note. Sie können die Welt um sich herum nicht mehr ganz erfassen. Daraus entsteht das klamme Gefühl, ins Hintertreffen geraten zu sein.

Dass man seinen Blick auf die Hippiekultur als sarkastisch bezeichnet, damit ist Tarantino allerdings nicht ganz einverstanden. Er spiele mit dem Stimmengewirr der Zeit, den widersprüchlichen Tonlagen. Dass die Situation kippen würde und die Hippies aufgesaugt werden würden, davon sei auszugehen gewesen, findet er. "Menschen sind für fünf Jahre ins Gefängnis gewandert, weil sie einen Joint dabei hatten. Die Polizei geriet oft völlig außer Kontrolle. So aufregend die Hippie-Bewegung war, sie war nicht zum Bleiben bestimmt."

Tarantinos Film fußt auf persönlichen Erinnerungen an Hollywood. Die ersten gehen auf dasselbe Jahr 1969 und einen Besuch von Grauman’s Chinese Theater, dem berühmten Premierenkino am Hollywood Boulevard, zurück. "Ich ging mit meiner Mutter und meinem Stiefvater in Butch Cassidy und Sundance Kid. Sie beschrieben mir die Fuß- und Handabdrücke der Stars, die es vor dem Kino zu sehen gibt. Sie erwähnten Berühmtheiten wie Roy Rogers und John Wayne – und dass Waynes Füße eigentlich recht klein wären."

Viele Umbrüche

Den Stars der 70er, dem Kino der unglücklichen Enden und glücklosen Helden, eifert Tarantino bis heute nach. Beim Dreh waren die Umbrüche im Straßenbild besonders dramatisch gewesen, ein Straßenblock sah ein, zwei Monate später schon wieder anders aus. "Man könnte denselben Film schon nächstes Jahr nicht mehr drehen. Beim Dreh war es so, als würden wir auf einer Brücke stehen, die hinter uns bereits brannte."

Die kulturelle Umbruchphase der späten 60er beschreibt auch der Film. Nicht indem er deren Ende wehmütig beklagt, sondern indem er ihren Geist ganz entspannt durch die Musik, Vintage-Bars und -Restaurants sowie ineinander verschachtelten Set-Pieces – szenische Einheiten, die wie kleine Geschichten funktionieren – noch einmal aufleben lässt.

Die Intensität der Szenen war selbst für einen Schauspieler wie DiCaprio eine Herausforderung: "Ich hatte ja nur zwei, drei Tage aus dem Leben meiner Figur zur Verfügung, um herauszufinden, wer sie war – und an einem davon spielt Rick in einer halbschlechten TV-Serie." Und er bricht dabei in Wut und Tränen aus, weil er sich seine Textzeilen nicht merken kann.

Kino als Wunschmaschine

Dass es sich im mehrfachen Sinne des Wortes um einen Trip handeln würde, der zum berüchtigten Schauplatz am Cielo Drive im Sommer von 1969 führen würde, wo die hochschwangere Sharon Tate und vier ihrer Freunde bestialisch ermordet wurden, wurde von Anfang an kolportiert. Allerdings nicht, auf welche Weise Tarantino Charles Manson und seine "Family" in den Film einschleusen würde.

Dass das Kino sich nicht akribisch an die Geschichte halten muss, nutzt der Regisseur bekanntlich weidlich aus. "Es gab eine große Szene, die es letztlich nicht in den Film geschafft hat, in der Manson lange spricht", so Tarantino. "Um sein Sprachmuster zu kennen, musste ich lange recherchieren. Ich musste ja seine Stimme im Kopf haben. Und das war etwas, was mich in Wahrheit zögern ließ, ob ich den Film tatsächlich machen möchte!"

Once Upon a Time ... in Hollywood kommt Manson klugerweise vor allem atmosphärisch nahe. In einer der fulminantesten Szenen des Films begleitet Cliff ein Hippiemädchen zur Spahn Movie Ranch, jener Geisterstadt für Western, in der Mansons "Family" ihre Bleibe gefunden hat. Das Set-Piece wird bei Tarantino wie eine unheimliche Ouvertüre für einen Horrorfilm umgemünzt, beschreibt hier aber den Wendepunkt eine Ära. Das Kino ist für ihn eine Wunschmaschine, um seine Idole vor realen Zurichtungen zu bewahren. (Dominik Kamalzadeh, 10.9.2019)