Neo-Neos-Politiker Helmut Brandstätter.

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Gelegentlich kommt es vor, dass Kolleginnen und Kollegen ihre Tätigkeit aus der Medienwelt in die legislative Scheinwelt verlegen. Erfahrungen dazu liegen vor, deshalb weiß man nie, ob man ihren persönlichen Mut bewundern oder von ihrem demokratischen Edelmut berührt sein soll. Man wünscht ihnen das Beste und hofft, dass sie mit dem Wechsel vom ohnehin in geringem Ansehen stehenden Journalistenstand in den kaum beliebteren des Politikers mehr vollbringen werden als den persönlichen Schritt vom Regen in die Traufe und den beruflichen vom Interviewer zum Interviewten.

"Politisch kluger Kopf"

Einer der akuten Fälle bei der am 29. September anstehenden Wahl ist – folgt man dem in der Wahlkampfberichterstattung unangefochten führenden Blatt "Österreich" - Brandi. Für Fellners Publikum analysiert dort Polit-Experte Peter Pelinka messerscharf: "Brandi" ist ein unbestritten belesener, politisch kluger Kopf, kompetent vor allem bei der Verteidigung demokratischer Grundrechte gegen rechtspopulistische Angriffe (siehe sein letztes Buch "Kurz und Kickl"). Bei so vielen Qualitäten taucht sofort ein Problem auf: Ob sich der prominente Quereinsteiger Helmut Brandstätter "auszahlen" wird, ist schwer einzuschätzen.

Dass ein Kandidat sich "auszahlen" muss, ist eine Qualifikation, die dem Quereinsteiger schicksalhaft auferlegt ist. Ob sich ein solcher tatsächlich auszahlt, stellt sich zuerst am Wahlabend heraus, und danach bei Auftritten für seine Partei. Es gab vielversprechende, ja sogar mit dem Gütesiegel der "Kronen Zeitung" versehene Quereinsteiger, von denen sich rasch herausstellte, dass ihr Schätzwert ziemlich rasch nach der Wahl sank. Unbestritten belesen zu sein hat nicht einmal einem Frank Stronach geholfen, und ein Mathematiker, der bei der ÖVP quer eingestiegen ist, also zweifellos ein politisch kluger Kopf, musste erleben, dass er sich nach einer Legislaturperiode für die Partei schon deutlich weniger auszahlte als einige Reden im Hohen Haus zuvor.

Innere Bereitschaft zur Veränderung

Um Quereinsteiger zu werden, muss man zuerst einmal gefragt werden, außer man finanziert sich die Partei, mit der man quer einsteigen will, selber. Das kommt aber selten vor, weshalb die "Salzburger Nachrichten" Brandstätters Antwort auf die Frage Was führt Sie zu den Neos? mit einem skeptischen Das war aber sicher nicht alles quittierten. Was hatte Brandstätter gestanden? Ich bin gefragt worden.

Wer weiß, was geschehen wäre, hätte man ihn nicht gefragt. Zum Glück fiel die Nachfrage mit einer ausreichenden Portion innerer Bereitschaft zusammen. Das Schreiben meines Buchs "Kurz & Kickl" hat mich stark verändert heißt, ihm die Augen für die Qualitäten der Neos geöffnet. Als sich nun die Möglichkeit eröffnete, für diese Partei in die Politik zu wechseln, habe ich nach reiflicher Überlegung Ja gesagt. Weil ich in dieser neuen Funktion vielleicht mehr bewirken kann als als Publizist. Die Reiflichkeit der Überlegung wird sich erweisen.

Auf den Einwand der "SN", Kritiker werfen den Neos vor, dass sie eine neoliberale Agenda haben, reagierte der Neo-Kandidat mit Unverständnis: Ich habe den Begriff "neoliberal" nie wirklich verstanden. Ich sehe mich in der Tradition der katholischen Soziallehre. Dabei sollte man annehmen, dass gerade jemand, der sich in der Tradition der katholischen Soziallehre sieht, den Begriff "neoliberal" nur zu gut versteht.

Nicht gegen Kurz und auch nicht gegen Kickl

Mehr überraschen wird jeden Leser seines Buches "Kurz & Kickl" die Erklärung: Mein Buch richtet sich im Übrigen nicht gegen Kurz. Und auch nicht gegen Kickl. Dann hat er sich wohl nicht ganz richtig ausgedrückt, oder der Leser hat ihn gründlich missverstanden. Als Lob für Kurz kann man kaum interpretieren, er habe als Bundeskanzler nichts gegen die Zerstörung des BVT durch Kickl unternommen. Und auch nicht, Kurz habe weggesehen beziehungsweise zugesehen, was von der FPÖ und Kickl bewusst verändert wurde. Aber als Quereinsteiger mit der Hoffnung seiner Parteichefin auf eine Koalition mit Kurzmuss man nun einmal anders reagieren als als Publizist.

Kaum Quereinsteiger, hat man auch schon die Probleme der Politiker. Das Problem aller Politiker ist, dass sie sehr viel reden müssen, zu wenig zuhören, zu wenige nachdenken. Das gilt es zu vermeiden. Das Sich-Herausnehmen, das Zurücknehmen, das Nachdenken, zu sagen: "Darauf habe ich keine Antwort", das ist etwas, das ich mir bewahren möchte. Ist aber schwer. (Günter Traxler, 11.8.2019)