Gustl Auinger: "Wir haben akzeptiert, dass die Straße die Straße und die Rennstrecke die Rennstrecke ist."

Foto: APA/EXPA/DOMINIK ANGERER

Wegen seiner ungebrochenen Begeisterung für den Rennsport liegt es Gustl Auinger fern, vor einem Grand Prix die Sinnfrage zu stellen. Der TV-Experte honoriert immerhin die Bemühungen um Elektromotorradrennen. Ins Schwärmen kommt er angesichts der Vorstellungen von Marc Márquez, dem Weltmeister der MotoGP.

STANDARD: Die Motorrad-WM lockt mehr Menschen denn je nach Spielberg. Was macht die Faszination aus?

Auinger: Der Sport hat eine enorme Wandlung durchgemacht. Das hat nichts mehr mit den wilden Hunden von Motorradlfahrern zu tun. Es geht um Motorsport, der technisch gesehen ein Leckerbissen und punkto sportlichen Zweikampfs momentan ganz weit vorne ist, weil er für den Zuschauer absolut greifbar und erkennbar ist. In Spielberg kommt noch dazu, dass die Rennstrecke eine der letzten Bastionen darstellt. Sie ist nicht, weil es laut ist und stinkt, irgendwo in die Pampa verbannt worden, sondern in einen wunderschönen Landschaftsteil der Steiermark integriert. Der Zuschauer ist nicht in einem Reservat, sondern kann abseits vom Rennsport auch Land und Leute kennenlernen. Dazu haben wir einen Schirmherrn, der wie kaum ein anderer den Motorsport liebt und versteht, was sich der Zuschauer erwartet und wünscht.

STANDARD: Die Formel 1 hat in Spielberg dieselben Vorteile, ist aber nicht ein Spektakel dieses Ausmaßes. Warum?

Auinger: Uns spielt ein bisschen in die Karten, dass sich die Formel 1 den Ruf erworben hat, langweilige Rennen zu bieten. Und sie bietet nicht mehr die Lautstärke, den Lärm von einst. Jeder, der Technikbezug hat, der den Motorsport liebt, egal ob auf zwei oder vier Rädern, ist beim Motorrad-Grand-Prix gut aufgehoben. Zu meiner Zeit gab es noch zwei sehr unterschiedliche Lager. Motorrad war der Salzburg-Ring, Formel 1 war der Österreich-Ring. Das gibt es nicht mehr.

STANDARD: Spielt es eine Rolle, dass die Motorräder, die am Wochenende in Spielberg rasen, im Grunde auch gekauft werden können? Den Ferrari von Sebastian Vettel können Sie nicht kaufen.

Auinger: Ginge es um die Käuflichkeit, würden die Supersportmotorräder in anderen Stückzahlen verkauft. Größer ist die Faszination, dass hier etwas auf Motorrädern gemacht wird, das nur schwer zu verstehen ist. Ich bin Experte bei Servus TV, stehe in der Boxenstraße, schau mir die Technik an, die ist schon unglaublich. Dann starten sie dieses Motorrad, ja sie zünden es eigentlich, dann kriegt man mit, dass das Ding Leistung bis zum Abwinken hat – nahezu 300 PS. Und dann setzen die sich drauf, bremsen, dass das Hinterrad in der Luft ist, beschleunigen, dass das Vorderrad in der Luft ist, und schleifen in den Kurven mit Knie und Ellbogen am Asphalt. Dann sag sich der Zuschauer: "Bist du deppat!"

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STANDARD: Ist diese Fahrweise nicht einfach zu abseitig?

Auinger: Man kriegt schon mit, dass es um etwas Fantastisches geht, das nicht jeder Mensch kann. Aber jeder Mensch erkennt auch, dass es nicht jeder kann. Das ist der große Vorteil gegenüber der Formel 1. Beim Motorrad ist unglaublich klar, dass da ganz andere Talente am Werk sind.

STANDARD: Gibt es noch die Gefahr der Selbstüberschätzung der Zuschauer unter dem Eindruck der Raserei beim Grand Prix?

Auinger: Die Gefahr ist nicht mehr so groß, weil es mittlerweile wirklich eine andere Welt ist. Wenn ich zuschaue, kann ich dann nicht auf ein Motorrad steigen und Marc Márquez spielen. Nicht nur weil das um einige Nummern zu groß ist, sondern weil wir seit 1974 ein Tempolimit (auf Autobahnen, Anm.) haben. An das haben wir uns gewöhnt, wie wir uns auch an die entsprechenden Kontrollen und Konsequenzen gewöhnt haben. Wir haben akzeptiert, dass die Straße die Straße und die Rennstrecke die Rennstrecke ist. Das Wilder-Hund-Flair ist ein bisserl weg. Den wilden Hund gibt es auch deshalb nicht mehr, weil er bei der heutigen Verkehrssituation keine Überlebenschancen hat. Ein paar Tollkühne sind immer unterwegs. Den Gasslheizer gibt es aber nicht mehr.

STANDARD: Haben Sie selbst den Stars der Szene nachgeeifert?

Auinger: Natürlich, ich habe auch bei Rennen zugesehen und beim Heimfahren in der von Gott gesegneten Zeit, in der ich den Führerschein gemacht habe, war es ganz egal, was ich aufgeführt habe. Es war verrückt, aber legal. Die Rennen selbst fanden damals ja auch auf Straßenkursen statt, ob das jetzt in Großraming oder Schwanenstadt war, oder beim Grand Prix in Rijeka oder in Imatra inj Finnland. Die Verbindung zum normalen Motorradfahrer war eine ganz andere.

STANDARD: Es gibt Bemühungen um eine MotoE, also eine Rennserie mit Elektromotorrädern. Was empfindet einer wie Sie dabei?

Auinger: Es kann sein, dass irgendwann das Benzin ausgeht und es keinen Auspuff mehr geben darf. Der Motorsport ist zeitlich möglicherweise befristet. Ich kann nicht beurteilen, ob die Elektromobilität des Rätsels Lösung ist. Die Elektromotorräder haben mich auf dem Sachsenring sehr beeindruckt. Ich habe mir das in einer fahrtechnisch schwierigen Passage angeschaut und bin einmal furchtbar erschrocken, weil sie so plötzlich da waren. Ich war nicht darauf vorbereitet, weil man nichts hört. Die Schräglagen, die die fahren, die messerscharfen Striche, die sie auf diesen Geräten ziehen, haben mich beeindruckt.

STANDARD: Kann die MotoE eines Tages den gleichen Sport liefern?

Auinger: In meiner Zeit war das Erste, was am scheinbar zu langsamen Moped manipuliert wurde, der Auspuff. Wenn der laut war, hatte man den Eindruck, dass es richtig geht. Einen Schmarren ist es gegangen. Alleine der Lärm suggeriert, dass es losgeht. Deshalb glaube ich nicht, dass das MotoE-Motorrad ein Konkurrent zur MotoGP ist. Die Bühne Rennsport ist aber für die Entwicklung einer neuen Technologie ideal. Steht das E-Motorrad nach drei Runden, dann steht es eben. Wenn es aber verkauft wird und nach der dritten Kreuzung stehen bleibt, dann gibt es einen Bahöl, aber einen ordentlichen.

STANDARD: Hat Marc Márquez das Zeug dazu, selbst die MotoGP langweilig zu machen?

Auinger: Der richtige Motorradzuschauer sieht, was der tut, was der kann. Einer, der von einem Riesenspektakel hört, sich das dann ansieht ohne tieferen Einblick und registriert, dass immer der Gleiche gewinnt, könnte schon zur Ansicht kommen, dass Abwechslung nicht schlecht wäre. Tatsache ist, dass es momentan keinen Besseren als Márquez gibt. Er hat mit Honda eine Fabrik hinter sich, die weiß, was sie an ihm hat. Der weltgrößte Hersteller baut genau das Motorrad, das sich Márquez wünscht. Alle Zutaten für Langweile, aber Marc ist einer, der es unglaublich liebt zu gewinnen, der es unglaublich liebt, in die Geschichtsbücher eingetragen zu werden. Bei dem Vorsprung, den er in der WM hat, würden sich viele einmal die Konkurrenz anschauen und nur so schnell fahren, wie es sein muss. Bei Márquez kommt das nicht in die Tüte.

STANDARD: Muss man Angst haben um den Burschen?

Auinger: Angst habe ich immer um die Buam. Aber eine der besonderen Eigenschaften, die dieser Kerl hat, ist, dass er anscheinend ganz genau weiß, was passiert, wenn er das Risiko eingeht. Zuletzt in Brünn war es in der Zielpassage nass. Wenn sich da ein Motorradl so aufführt wie seines, springen 98 Prozent der Fahrer ab, also stürzen. Bei ihm hatte es den Anschein, dass er genau wusste, was bei Nässe kommt. Er war erkennbar auf jeden Rüttler, Deutler, Schüttler vorbereitet und hat nicht reagiert, sondern das Ding da durchgetragen. Solche Erlebnisse könnte ich weiß Gott viele schildern, Dinge, die ich von ihm gesehen, aber nicht kapiert habe. Im Qualifying in Brünn hat er sogar von Honda eine Rüge bekommen, weil er so riskiert hat. Gerade Spielberg ist der einzige Fleck auf seiner Landkarte, auf dem er noch nie gewonnen hat. Aber für den Sieg muss jeder ans Limit gehen. Man braucht nur im Training schauen, wie oft Márquez stürzt, wie deutlich er das Limit sucht. So deutlich, dass Honda an ihn appelliert, dass er darüber nachdenken soll, was er tut.

STANDARD: Gehen die kleine Klassen, die Moto3, die Moto2, nicht etwas unter? Früher hatten Fahrer, die in solchen Klassen gewonnen haben, ein ganz anderes Prestige. Schmerzt das einen, der dort mitgefahren ist?

Auinger: Der Sport hat sich eben dramatisch gewandelt. Zu meiner Zeit gab es fünf Klassen, mit den Seitenwagen waren es sechs. Wir hatten Angel Nieto, der 13 Mal in kleinen Klassen Weltmeister war. Heute steckt ein gutes System dahinter, dass du in der Moto3 beginnst und es dort nach Möglichkeit schaffst, ganz vorne mitzufahren und den Titel zu holen. Es geht aber überhaupt nicht darum, den Titel zu verteidigen. Er ist nur die Eintrittskarte in die Moto2, die wiederum die Eintrittskarte in die MotoGP ist. Die ist eindeutig die Zielrichtung. Dadurch ist gewährleistet, dass die MotoGP im Zeitraffer die besten Piloten bekommt. Trotzdem sind die Titel in Moto3 und Moto2 unheimlich erstrebenswert. Die Rennen sind sehr spannend, nur muss der Zuschauer jedes Jahr mit neuen Namen zurechtkommen.

STANDARD: In der MotoGP fahren viele verschiedene Hersteller. Wie wichtig ist es, präsent zu sein?

Auinger: Beim Motorrad ist das wahnsinnig wichtig, das beweist ja auch der Einstieg von KTM. Ein Motorrad muss ich ja nicht haben, das kaufe ich mir, weil ich es will. Das kaufe ich aus Emotionen heraus. Und da spielt schon eine Rolle, wie oft du mit einer Marke konfrontiert wirst. Du bis weltbekannt mit deiner Marke, wenn du in der MotoGP vertreten bist.

STANDARD: Wie hält sich KTM vor diesem Hintergrund?

Auinger: Beachtlich bis gut sicher, von den Ansprüchen, ganz vorne zu fahren, sind sie aber noch ein bisschen entfernt. Das hat nicht mit zuwenig Engagement zu tun. Aber der Boom der MotoGP motiviert die größten Hersteller der Welt, alles auf diese Karte zu setzen und wirklich zu investieren. Honda überlebt, wenn es in der Formel 1, beim Superbike oder bei der Rallye Dakar nicht gewinnt. Aber die MotoGP muss ihnen gehören. Mit solchen Gegnern, die noch dazu Jahrzehnte auf diesem Niveau Erfahrung haben, kämpft KTM. Geduld ist da ein großes Thema.

STANDARD: Wie viel fahren Sie selber noch – und wie schnell?

Auinger: Zu wenig. Und ich habe auch kein angemeldetes Rennmotorrad, weil ich ehrlich gestehen muss, dass ich es nicht schaffen würde, mit Motorrädern, die ich liebe, immer und überall das Tempolimit zu respektieren. Deshalb ist mir lieber, ich habe keine Nummerntafel drauf und da und dort die Möglichkeit, auf einer Rennstrecke meine Leidenschaft auszuleben. Wenn ich mit meiner Freundin fahre, habe ich ein anderes Motorradl, da genieße ich und da will ich auch nicht, dass sie sich hinten oben fürchtet. Da habe ich mit dem Tempolimit auch kein Problem. Ich habe Gott sei Dank keine Entzugserscheinungen.

STANDARD: Welches Motorrad haben Sie angemeldet?

Auinger: Eine KTM Duke. (Sigi Lützow, 10.8.2019)