Bis auf dieses Archivbild aus dem Jahr 2011 gibt es keine Aufnahmen des Testgeländes.

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Strahlungsmesswerte in Sewerodwinsk, 8. 8. 2019, um die Mittagszeit.

Foto: Katastrophenschutzministerium Arkhangelsk

Moskau – Bei dem Zwischenfall an einer Atomanlage auf dem Militärgelände im Norden Russlands sind mehr Menschen ums Leben gekommen als zunächst mitgeteilt. Nach neuen Angaben gab es sieben Todesopfer. Das Verteidigungsministerium in Moskau hatte nach der Explosion am Donnerstag zunächst von zwei toten Militärangehörigen gesprochen.

Die russische Atombehörde Rosatom teilte am Samstag mit, auch fünf ihrer Mitarbeiter hätten bei dem Unglück ihr Leben verloren. Zudem wurden mehrere Menschen verletzt.

Zu dem Vorfall kam es in der Nähe der Hafenstadt Sewerodwinsk nahe Archangelsk während eines Raketentests. Als Treibstoff in Brand geraten sei, habe es eine Explosion gegeben, erklärte Rosatom der Agentur Tass zufolge. Bei der Detonation seien Mitarbeiter des Staatskonzerns ins Meer geschleudert worden. Erst nachdem die Suche nach ihnen abgeschlossen gewesen sei, habe man darüber informiert.

Erhöhte Radioaktivität gemessen

Eine Sprecherin der in der Region liegendem Stadt Sewerodwinsk erklärte in einer mittlerweile gelöschten Stellungnahme, am Donnerstag in der Früh sei erhöhte Radioaktivität gemessen worden. Amerikanische Experten vermuten, dass es beim Test eines neuartigen Marschflugkörpers mit Atomantrieb zu einer Explosion gekommen ist.

Die Stellungnahme der Sprecherin von Sewerodwinsk war am Freitag von der Internetseite der Stadtverwaltung genommen worden. Das russische Verteidigungsministerium betonte, dass keine Schadstoffe ausgetreten seien. "Die Strahlenwerte sind normal", hieß es in einer offiziellen Mitteilung. Die Messwerte hätten sich bereits am Mittag wieder normalisiert.

Anrainer deckten sich mit Jodtabletten ein

Nach Medienberichten haben sich Anrainer in der Umgebung des Raketentestgeländes mit Jod eingedeckt, nachdem sie mit Strahlenmessgeräten selbst erhöhte Radioaktivität gemessen hatten. In mehreren Apotheken der beiden Hafenstädte Archangelsk und Sewerodwinsk sei Jod bereits ausverkauft. Das Medikament wird vorbeugend eingenommen, um im Fall eines Strahlungsaustritts zu verhindern, dass sich radioaktives Jod in der Schilddrüse ansammelt.

Kein Jod mehr in dieser Sewerodwinsker Apotheke.

Ankit Panda vom Amerikanischen Wissenschafter Verband sagte, bei der Explosion eines mit flüssigen Brennstoff angetriebenen Raketentriebwerks werde keine Radioaktivität freigesetzt. Er nehme an, es habe einen Unfall mit einem mit Atomenergie betriebenem Triebwerk gegeben. Auch ein zweiter von der Nachrichtenagentur Reuters befragter US-Experte vertrat diese Ansicht.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte im März 2018 eine neue Generation von Marschflugkörpern angekündigt. Sie seien bereits 2017 getestet worden, hätten eine unbegrenzte Reichweite und seien unangreifbar für alle existierenden Raketenabwehrsysteme.

Ein Mitglied der US-Regierung erklärte, er werde weder bestätigen noch dementieren, dass es einen Unfall mit einem atomar angetriebenen Marschflugkörper in Russland gegeben habe. "Wir beobachten weiterhin die Vorgänge im entlegenen Norden Russlands, aber die Versicherungen Moskaus 'Alles ist ganz normal' klingen für uns unglaubwürdig", sagte der Regierungsmitarbeiter, der nicht genannt werden wollte.

Schiffe verlassen Sperrgebiet

Messstationen in Norwegen haben keine erhöhten Strahlungswerte gemessen. Allerdings weht der Wind über dem Weißen Meer seit dem Unfall in südöstlicher Richtung. Nachdem die russischen Behörden das Gebiet um die Unfallstelle für den Schiffsverkehr gesperrt hatten, verließen am Donnerstag alle Schiffe bis auf den Transporter Serebrjanka den 30-Kilometer-Streifen vor der Küste, ist auf Webseiten zu sehen, auf denen der Schiffsverkehr verfolgt werden kann.

Das Schiff blieb 30 Stunden im Sperrgebiet, bevor es am Freitagnachmittag langsam Fahrt aufnahm. Die Serebrjanka ist eine Spezialkonstruktion für den Transport radioaktiver Substanzen aus den 1970er-Jahren, die in der Vergangenheit zur Verklappung von Atommüll aus dem Atomflottenstützpunkt bei Murmansk eingesetzt wurde, wurde aber immer wieder auch in der Nähe russischer Waffentests beobachtet.

Laut "Moscow Times" wurden die Verletzten nach Moskau verlegt. Im Internet veröffentlichte Videos zeigen einen Konvoi von Rettungsfahrzeugen, Sanitäter und Fahrer tragen ABC-Schutzanzüge. (bed, APA, 10.8.2019)

Das Testgelände liegt zwei Kilometer nördlich der Dorfes Njonoxa.