Im Gastkommentar fordert Austrian-Airlines-Chef Alexis von Hoensbroech, die Drehkreuzfunktion des Flughafens Wien zu stärken.

Während anderswo in Europa Begriffe wie "Flugscham" die Runde machen und eine dringend nötige Debatte darüber geführt wird, ob beim Fliegen nicht weniger mehr sein könnte, übertrumpfen sich hierzulande gleich mehrere Billigflieger gegenseitig mit vollmundigen Ankündigungen und billigsten Preisen. Die Passagierzahl am Flughafen Wien wächst aktuell mit 25 Prozent gegenüber dem Rekordjahr 2018 und damit rund zehnmal so schnell wie in den zehn Jahren davor. Also alles im "grünen Bereich"? Aus luftfahrtpolitischer Sicht alles richtig gemacht?

Der Wiener Flughafen hat zuletzt 27 Millionen Passagiere befördert. Allerdings haben selbst kleinere Städte wie Zürich vergleichbar große Flughäfen (31 Millionen). In München waren es zuletzt 43 Millionen, in Barcelona sogar 50 Millionen Passagiere. Und dass ein kleines Land im Luftverkehr auch zum Global Player aufsteigen kann, sieht man an den Niederlanden: Der Flughafen Amsterdam befördert sogar 71 Millionen Passagiere.

Magere Langstrecke

Noch schlechter sieht es bei den wichtigen Langstreckenverbindungen aus. Wien hat 24 Langstreckenziele. Zürich oder München haben mehr als doppelt, Amsterdam hat sogar mehr als dreimal so viele. So wichtige Überseeziele wie Singapur, San Francisco oder São Paulo sind von Wien aus nur über andere Umsteigedrehkreuze erreichbar. Gut für die anderen, schlecht für Wien, schließlich ist die Qualität der Fluganbindung an die Welt einer der wichtigsten Standortfaktoren, egal ob es um die Ansiedlung von Firmen und internationalen Organisationen oder die Durchführung von Messen und Kongressen geht.

Diese Analyse wird auch von Dritten bestätigt. Das World Economic Forum sieht im Global Competitiveness Index Österreich auf Platz 22, bei der Luftfahrtanbindung aber nur auf Platz 37, etwa vergleichbar mit Polen.

Viele Touristen, wenig Geschäftsleute

Woran liegt das? Einerseits hat Wien nicht ganz so viele Geschäftsreisende wie andere Städte. Zwar gibt es einen sehr erfolgreichen Mittelstand, aber es fehlen Großunternehmen vom Format von Siemens oder Roche, die echte "Geschäftsreisemaschinen" sind. Andererseits gibt es hier viele Touristen, was zu recht niedrigen Durchschnittspreisen führt. Und da Touristen vor allem im Sommer kommen, sind die Winterverluste der heimischen Fluggesellschaften deutlich ausgeprägter als in anderen Ländern.

Um diese strukturellen Nachteile auszugleichen, bräuchte man eigentlich entsprechend günstige Standortkosten. Diese sind leider in Österreich nicht gegeben. Laut einer aktuellen Studie der International Air Traffic Association (IATA) gehört Österreich zu den teuersten Ländern in Europa bei Luftfahrtgebühren und -steuern, mehr als doppelt so teuer wie die im Luftverkehr so erfolgreichen Niederlande.

Billigfliegerboom

Angesichts des aktuellen Billigfliegerbooms in Wien möchte man meinen, dass es ja nicht so schlecht bestellt sein kann um die österreichische Luftfahrt. Allerdings bieten Billigflieger ausschließlich Kurz- und Mittelstreckenziele an, da sie lediglich die lokale Nachfrage zwischen Wien und dem jeweiligen Zielort bedienen. Davon gibt es zwar in Europa genug, allerdings sieht das Bild auf der Langstrecke vollkommen anders aus. So wollen zum Beispiel nur rund 40 bis 50 Passagiere pro Tag von Wien nach Washington. Die übrigen Passagiere müssen erst aus anderen Städten eingeflogen werden, um das 200- bis 300-sitzige Langstreckenflugzeug zu füllen.

Ohne ein solches Drehkreuz würde die lokale Nachfrage gerade einmal für drei bis vier Langstreckenziele ausreichen. Dazu gäbe es vielleicht noch ein paar Langstrecken, die von einem Drehkreuz am anderen Ende der Strecke kommen (etwa Doha oder Chicago), aber von den heutigen 24 Langstreckenzielen würde wohl nur eine einstellige Zahl übrig bleiben. Ein trauriges Beispiel dafür ist Berlin mit nur sechs Langstreckenzielen trotz 35 Millionen Passagieren.

Die Passagierzahl am Flughafen Wien wächst zwar, doch bei der Luftfahrtanbindung ist noch Luft nach oben.
Foto: Christian Fischer

Drehkreuzfunktion stärken

Wien hat ein solches Drehkreuz – etwa ein Viertel der Passagiere steigt um –, droht aber den Anschluss zu verlieren. Andere Drehkreuze in Europa wachsen in der Langstrecke viel stärker, ganz zu schweigen von außereuropäischen Drehkreuzen wie Istanbul oder Doha. Der Grund dafür ist sehr einfach: Die Standortbedingungen stehen in keinem vernünftigen Verhältnis zu den erzielbaren Umsteige- und Langstreckenerlösen. Dadurch lassen sich die enormen Investitionen in Langstreckenflugzeuge (Listenpreis rund 300 Millionen US-Dollar!) schwer rechtfertigen.

Richtigerweise setzt sich die österreichische Politik daher für den Luftverkehrsstandort Wien ein und hat mit dem Votum für die dritte Piste ein wichtiges Signal gesetzt. Allerdings ist eine fehlende dritte Piste derzeit (noch) nicht der wesentliche Engpass. Aktuell ist (abseits von einigen Stoßzeiten) noch ausreichend Kapazität am Wiener Flughafen vorhanden. Angesichts der enormen Investitionskosten im Milliarden-Euro-Bereich sollte diese erst dann in Betrieb genommen werden, wenn Wien "aus allen Nähten platzt", da sie sonst zu keinem Mehrverkehr führt, sondern nur zu Mehrkosten, die Wien am wenigsten gebrauchen kann. Vor den 2030erJahren ist meiner Einschätzung nach der Bedarf für eine dritte Piste in Wien daher nicht gegeben. Vorher wird sie aber wohl sowieso nicht fertig werden.

Keine bodengebundene Alternative

Viel wichtiger ist es, ein Programm zur Stärkung der Drehkreuzfunktion auf den Weg zu bringen. Es sollte zum einen die allgemeinen Standortbedingungen für den Luftverkehr umfassen, aber speziell Umsteige- und Langstreckenverbindungen über Wien vereinfachen und fördern.

Bei Langstreckenflügen gibt es keine realistische bodengebundene Alternative. Auch sind Ultrabilligtickets und Wochenendtrips in diesem Segment eher selten. Eine Stärkung der Umsteige- und Langstreckenverbindungen führt daher zu einer echten Standortstärkung. Ein gut funktionierendes Drehkreuz erlaubt es, in modernere und größere Flugzeuge zu investieren und den CO2-Ausstoß pro Passagier signifikant zu senken. Dies alles stärkt den Standort, damit die Wirtschaft und hilft letztlich auch der Umwelt. (Alexis von Hoensbroech, 11.8.2019)