Man nennt sie Ochsenbauchbucht: Tiefblick vom Paleokastro auf den Voidokilia-Strand an der Costa Navarino.

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Zentrales touristisches Projekt sind seit 2012 die Navarino-Residenzen The Romanos und The Westin, die mit rund 1.500 Betten auf einer Fläche von 130 Hektar ihren Gästen alle erdenklichen Angebote an Freizeitgestaltung bieten und trotzdem nichts mit auf Kampftourismus ausgelegtem Cluburlaub zu tun haben will.

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1.000 beste Plätze dieser Welt schreibt die durch Listen geordnete Reisekultur seit einiger Zeit vor, die Urlauber aufgesucht haben sollten, bevor sie eines hoffentlich noch fernen Tages sterben. Die messenische Costa Navarino im Südwesten des griechischen Peloponnes ist nicht darunter – und es ist gut so. Schwarmintelligenz blieb diesem Idyll bis dato fern. Entwickelt sich das einstige touristische Entwicklungsgebiet allerdings in der Art weiter, droht das baldige Ende der Ruhe.

Noch ist Platz genug. Auf 10.000 Hektar breitet sich der Landstrich eine Autostunde nordwestlich von Kalamata aus. An der Küste reihen sich kilometerlange Sandstrände aneinander, im Hinterland prägen Olivenbaumplantagen das Bild. Charakterlose Bettenburgen sucht man vergeblich, der Massentourismus hält sich dezent zurück. Keine schlechte Optik.

Zeitgemäßer Tourismus

Sieben Prozent Wachstum im Tourismus verzeichnet Griechenland im letzten Jahr, und während anderswo schneller Ausverkauf an Grund und Boden passiert, schlagen die Navariner einen zeitgemäßeren Weg ein, der Qualitätstourismus in Einklang mit der Natur und Rücksicht auf lokale Gegebenheiten bringen will.

Am dezenten Aufschwung der Region maßgeblich beteiligt ist ein gewisser Vassilis C. Constantakopoulos, ein Selfmade-Millionär, Großreeder, Unternehmer der alten Schule und von den Einwohnern kurz und knapp und stets mit allem Respekt "Captain" genannt.

Nachhaltig verändert

Captain Vassilis stammte aus armen Verhältnissen und eroberte, prosaisch formuliert, von Messenien aus die Weltmeere. Mit 21 Jahren gründete der 1935 geborene Grieche seine erste Firma, die Costamare Shipping Company und machte aus ihr eine der weltweit größten Container-Schiffsflotten. Ein guter Mann soll er gewesen sein, der für alle Menschen ein offenes Ohr hatte, erzählen sich die Leute. 2010, im Alter von 75 Jahren und ein Jahr vor seinem Tod, als die Krise in Griechenland am Höhepunkt war, setzte er ein touristisches Konzept für die Costa Navarino um, das die Region nachhaltig verändern sollte.

Dass ausgerechnet zwei künstlich angelegte Hotelanlagen ihre Region retten sollten, glaubte hier anfangs trotzdem niemand, erzählt Ioanna von Temes, die von Athen aus das Tourismuskonzept der Costa Navarino betreut. Finanziert wird das von einer Stiftung aus dem Erbe Vassilis und dessen Frau Carmen. Ziel ist es, Messenien als Modell für nachhaltige Entwicklung zu etablieren und Umweltprojekte zu fördern.

Kein Kampftourismus

Zentrales touristisches Projekt sind seit 2012 die Navarino-Residenzen The Romanos und The Westin, die mit rund 1.500 Betten auf einer Fläche von 130 Hektar ihren Gästen alle erdenklichen Angebote an Freizeitgestaltung von Golf, Spa, Kulinarik (21 Restaurants!), Kinderclubs, Mountainbike-Touren und Baden in Meer und zig Pools vorsieht und trotzdem nichts mit auf Kampftourismus ausgelegtem Cluburlaub zu tun haben will.

Mitten in den Dünen liegen die beiden Komplexe, die mehrere Häuser umfassen und messenischem Baustil nachempfunden sind. Rund um ein der antiken Agora nachempfundenes Dorfzentrum ordnen sich gastronomische Einrichtungen, Boutiquen und Poollandschaften aneinander. Das Westin spricht eher Familien an, im ruhigeren Romanos dürften sich Erwachsene wohler fühlen. Insgesamt ist das ein durchgeplantes Paralleluniversum für erholungsbereite Gäste. Gebaut wurde mit Rücksicht auf die Umwelt. Olivenbäume wurden nicht gefällt, sondern verpflanzt.

Schildkrötenalarm

Die Liegebetten stehen nicht direkt am Wasser: Meeresschildkröten legen ihre Eier ab und sollen dabei nicht gestört werden. Archtektonisches Highlight ist unten die Strandbar. Vom Londoner Architektenbüro K-Studio entworfen, rauscht der Wind durch ein mit sandfarbenen Stofffächern ausgelegtes Dach.

Der Vorteil solcher Unterbringungsart liegt ohnehin auf der Hand: Wer drinnen bleiben will, kann dies tun. Draußen geht das messenische Leben seinen Gang – und es ist wert entdeckt zu werden.

Schönster Strand

Schon allein der Voidokilia-Bay wegen, auch Ochsenbauchbucht genannt, einer sichelförmigen Sandschneise, die die Natur zur Freude der Badenden geschlagen hat und – Vorsicht, Listenkultur! – als einer der weltweit schönsten Strände gilt. Ein schmaler Wanderweg führt darüber zum Paliókastro, einer Burg aus venezianischer Zeit. Direkt angrenzend an den nahe gelegenen Golden Beach liegt die Osman-Aga-Lagune von Giálova, ein für Hobby-Ornithologen unschlagbarer Hotspot mit Vogelbewegungen von Stelzenläufern, Rotschenkeln, Zwergdommeln und Flamingos.

Das kleine Städtchen Giálova erfindet sich nach der Krise im positiven Sinn neu. Fettige Souvlaki und labbrige Moussaka sucht man hier vergeblich, stattdessen wird an der rund 100 Meter langen Strandpromenade neue regionale Küche geboten. Vegane Zucchinibällchen und gefüllte griechische Weinblätter. Wer es noch ruhiger mag, quartiert sich in Steinhäusern an den Hängen oberhalb Giálovas ein.

Haltlose Ruhe

Typisch griechischen Charme versprüht Pilos weiter südlich. Das geschäftige Treiben lässt sich beim griechischen Kaffee unter den Arkaden beobachten. Wenn die Touristenbusse die Festung Niókastro verlassen haben, genießt man haltlose Ruhe und Tiefblicke in die Bucht.

Antike Zerstreuung bieten mykenische Gräber bei Kiparisia in völliger Einsamkeit unter Palmen und Olivenbäumen. Archäologen legten in den 1950er-Jahren wenige Kilometer den Nestor-Palast frei. Das Museum birgt Funde aus der Zeit um 1300 vor Christus. 90 Minuten nördlich taucht man in Olympia in das prächtige Zentrum der Wettkampfstätte des Altertums ein. Und das kann man dann auch wieder im Buch über die 1.000 besten Plätze abhaken. (Doris Priesching, 15.8.2019)