Ein Freund von mir, seit Jahren glücklich in einer asiatischen Hauptstadt verheiratet und dort ebenso glücklicher Vater eines Kindes, genießt bei seinen seltenen Wien-Besuchen gerne die Wonnen außerehelichen Glücks: ein paar Drinks; ein verloren geglaubtes Gefühl von Freiheit; es noch einmal wissen wollen.

Das Verschwinden des Katers führt dann verlässlich zur Wiedererlangung des Verantwortungsgefühls seiner Gattin gegenüber und zum Besuch eines Labors als abschließendem Teil der Reise. Denn auch Alter schützt vor Torheit nicht. Sie drückt sich in ungeschütztem Geschlechtsverkehr aus.

Die Testergebnisse sollen ihm vor einem Wiedersehen mit der Gattin die Sicherheit geben, dass er sich nicht mit Viren, Bakterien, Pilzen (im Volksmund: "Schwammerln") oder Einzellern (Protozoen) angesteckt hat, die dann bei ihm zu unangenehmen Symptomen wie genitalen Geschwüren (Ulzerationen), Hodensackschwellung, Ausfluss, entzündlichen Schwellungen der Lymphknoten in der Leistengegend oder Unterbauchschmerzen führen könnten.

Tropfende Ansteckung

Ein leichtes Jucken im Genitalbereich der Gattin nach der Wiedervereinigung wäre ein erster möglicher Hinweis darauf, dass er die Krankheit auf sie übertragen hätte, was wiederum zu unnötigen Fragen führen würde. Falls sie die Folgen seines Tuns nicht überhaupt schon an seinem Geschlecht ablesen könnte: "Sag mal, Schatz, ist das ein Bonjour-Tropfen?"

Der wäre ein möglicher Hinweis darauf, dass er sich mit Gonorrhö angesteckt haben könnte, die Bezeichnung "Tripper" leitet sich vom niederländischen "druiper" = Tropfen ab, übertragen wird sie durch Gonokokken, bewegliche Bakterien. Zunächst aber würde mein Freund gar nicht glauben, dass er sich damit überhaupt angesteckt haben könnte.

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"Netflix und chill?" ist der Code, über den man sich auf der Couch verabredet, wobei Netflix eher nebenher läuft und der Chill erst nach dem Sex kommt.
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Grassierende Geschlechtskrankheiten

Wie die meisten von uns hätte er diese und andere "klassische Geschlechtskrankheiten" wie Syphilis (auch "harter Schanker" oder "Franzosenkrankheit" genannt) oder Ulcus molle (auch "weicher Schanker") nämlich medizinisch als erledigt angesehen. Seit es Antibiotika gibt, machen diese nur durch Geschlechtsverkehr übertragbaren Krankheiten höchstens zehn Prozent aller Fälle von STDs (sexually transmitted diseases) aus.

Seit einigen Jahren entwickeln sich die Zahlen in bestimmten Ländern des Kontinents wieder nach oben. So wies die Schweizer SVA knapp 2500 Neuinfektionen für das Jahr 2016 gegenüber unter tausend zehn Jahre davor aus.

Ähnlich valide Zahlen gibt es für Österreich nicht, da diese Erkrankungen, so Pressesprecher Jung vom Gesundheitsministerium, lediglich einer "eingeschränkten Meldepflicht nach dem Geschlechtskrankheitengesetz" unterliegen: Nur wenn sich der Erkrankte der Behandlung entzieht oder eine Weiterverbreitung befürchtet werden muss, ist eine Meldung verpflichtend. Anders als bei den meldepflichtigen HIV-Infektionen, die Aids auslösen. Das Ministerium veröffentlicht nach wie vor jährliche Zahlen zu den Neuinfektionen, 2018 ergaben sich durch Elisa-Tests (inkl. Blutspendetests) 976 positive HIV-Befunde.

Aids hat seinen Schrecken verloren

Die mittlerweile durch Verabreichung entsprechender Medikamente gute Beherrschbarkeit des HI-Virus dürfte mit ein Grund für die Zunahme sowohl "klassischer" als auch "moderner" Geschlechtskrankheiten (die nicht nur durch Geschlechtsverkehr übertragen werden) sein.

Seit Aids seinen Schrecken verloren hat und die Jungen kaum mehr von dieser Krankheit wissen, verzichten Männer aller Altersgruppen immer häufiger auf Kondome, das nach wie vor sicherste Mittel, wenn sie auch keinen 100-prozentigen Schutz vor einer Ansteckung bieten.

Beim Onlinedating angesteckt

Außerdem hat in den letzten Jahren ein Gefühl von "Freiheit" und "Anything goes" zugenommen. Nicht zuletzt Datingplattformen wie Tinder oder Grindr ermöglichen eine neue, unverbindliche und sogar anonyme "Organisation" des Sexlebens. Logisch, dass die Gruppe der 20- bis 30-Jährigen am meisten gefährdet ist, weil sie häufig Sexpartner wechseln und viel unterwegs sind. Bei ihnen erreicht die Zahl der Erkrankungen den "Peak".

"Netflix und chill?" ist der Code, über den man sich für die Couch verabredet, wobei Netflix nebenher läuft und erst nach dem Sex oder dazwischen gechillt wird. Und in den Darkrooms bzw. Toiletten großer Techno-Clubs soll es auch ganz schön zugehen. So jedenfalls gehen die Erzählungen.

Steigender Beliebtheit sollen sich auch Swingerpartys erfreuen, und zwar bei Jung und Alt. Trotz Internet-Hypes feierte etwa das gedruckte ÖKM-Magazin vor kurzem seine 800. Ausgabe. Dort inserieren nach wie vor sexhungrige "Amateure" auf der Suche nach gleichgesinnten Partnern. Erlaubt ist, was gefällt, sogar die Oma darf mitmachen und sich gegebenenfalls anstecken.

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HP-Viren sind sehr verbreitet. Mindestens drei Viertel aller sexuell aktiven Menschen weltweit infizieren sich irgendwann in ihrem Leben damit.
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Schutz vor Ansteckungen

Eine, die in diesem Umfeld ständig Sex hat (und das mit häufig wechselnden Partnern), ist die 27-jährige Josie Buster von den Austrianpornsisters. Sie und ihre "Sister" July drehen nicht nur Pornos, sondern werden auch für einschlägige Partys in Swingerclubs gebucht. Dort, sagt sie, würden überall Kondome aufliegen und auch verwendet werden.

An einem sonnigen Nachmittag im Juli drehen die beiden ein paar Hardcore-Szenen für einen Amateurporno der Fun-Movie Production in einem Wiener Bierlokal – auf der Bar, hinter der Bar, auf den Hockern. Die Pornsisters bieten ihren männlichen Fans den gerne nachgefragten "Service", als "standhafter" Bursche auch einmal selbst mitmachen zu dürfen. Auch bei Pornodrehs, sagt Josie, würden zumindest in Österreich immer Kondome verwendet, jedenfalls während der Vaginal- und Analpenetration.

Die abschließende Ejakulation, der "Cumshot", erfolgt allerdings meist ungeschützt in den Mund. Und auch "Lecktücher" vorn und hinten, die vor Übertragung der Krankheit über die Schleimhäute an den entsprechenden Stellen schützen könnten, werden nicht verwendet.

Krebs an Zunge, Mastdarm und Anus

"Lecktücher"? Der Schauspieler Michael Douglas erregte vor Jahren einiges Aufsehen, als er behauptete, seine Zungenkrebserkrankung sei auf die häufig geübte Praxis der Stimulation seiner Geschlechtspartnerinnen genau mit diesem Körperteil zurückzuführen, Stichwort: Cunnilingus und Anulingus.

Ebenso häufen sich Meldungen, wonach die aktive Frau durch die Freuden praktizierter Blowjobs Gefahr läuft, sich mit HP-Viren (Humane Papillomaviren) zu infizieren. Die rufen zwar in den meisten Fällen "nur" harmlose Genitalwarzen hervor, allerdings gibt es unter den verschiedenen HPV-Typen auch die Typen 16 und 18, die Krebs an der Vulva und am Penis verursachen können, beim Mann gilt obendrein eine bestehende Phimose (Vorhautverengung) als zusätzliches Risiko.

Krebs kann sich auch im Analbereich (Mastdarm, Anus) bilden oder wie beim erfolgreich behandelten Michael Douglas an der Zunge, im Rachen, an den inneren Mandeln oder im Kehlkopf. Es sollen sogar bestimmte Formen von Lungen- und Hautkrebs mit einer Infektion durch HP-Viren in Verbindung stehen.

Hochrisiko HPV

Diese sind sehr verbreitet. Mindestens drei Viertel aller sexuell aktiven Menschen weltweit infizieren sich irgendwann in ihrem Leben damit. Eine deutsche Studie hat bei einem Viertel der 26-jährige Frauen HPV-Hochrisikotypen nachgewiesen, bei den über 30-jährigen waren es nur noch sechs von 100. Das Zervixkarzinom ist bei Frauen der am häufigsten durch eine Infektion mit HP-Viren verursachte Krebs, Mädchen können sich mittlerweile dagegen impfen lassen.

Ganz schön viel los also an und in den Geschlechtsorganen von Mann und Frau und auch darum herum, und das in allen Altersgruppen und allen sozialen Schichten. Da haben wir noch nicht einmal die Möglichkeit der Infektion mit Trichomonaden, Hepatitis B oder Chlamydien erwähnt, geschweige denn die lästigen Lippenbläschen, hervorgerufen durch Herpes-simplex-Viren (HSV-1) mit einer geschätzten weltweiten Verbreitung von 60 Prozent der Bevölkerung bzw. Herpes genitalis (HSV-2) mit den juckenden Bläschen im Genitalbereich, die bei immerhin 20 Prozent der Weltbevölkerung irgendwann auftreten sollen.

Untersuchung vor dem Urlaub

Ich vereinbare also vor dem Urlaub telefonisch einen Termin in einem Labor im 14. Wiener Gemeindebezirk, "für hinten und vorn", wie ich verschämt anmerke, "das volle Programm". Man bittet mich, zwei Stunden vor der Untersuchung nicht zu urinieren.

Es hat über 30 Grad, als ich dort ankomme, die Klimaanlage kühlt immerhin auf unter 30 Grad, die Stimmung im Warteraum ist entsprechend erhitzt: Schweiß ist unser aller Begleiter, nackte Füße werden hochgelagert. Für wohlfeile 150 Euro lasse ich mir von einer routinierten Fachkraft, die über eine angebliche Zunahme von Geschlechtskrankheiten zwar nichts sagen darf, aber sie immerhin mit einer wegwerfenden Handbewegung kommentiert, Blut abnehmen, in welchem sich HIV, Lues, Syphilis, Hepatitis B und andere Erreger nachweisen lassen.

Dann bittet sie mich, die Hose runterzulassen, "wir machen das im Stehen". Es fällt das hässliche Wort "Harnröhrenabstrich" verbunden mit dem auch nicht so schönen Hinweis, dass "der jetzt ein bisserl unangenehm werden kann." Natürlich, es ist keine mehrstündige Operation am offenen Herzen, aber "unangenehm" stimmt: Sie fährt mit einem Staberl hinein in die Harnröhre, dreht es ein paar Mal herum, sodass es noch "unangenehmer" wird, bevor sie es wieder herauszieht, was dann fast "angenehm" ist.

Sicher durch Abstrich

Das Staberl verschwindet, und ich ziehe die Hose wieder hinauf. Dann bittet sie mich mit einem Becher aufs Klo, von wo ich den Erststrahlharn (und nicht wie sonst immer verlangt den Mittelstrahlharn) zurückbringen soll. "Bitte, gerne!" Als ich mich dann noch wegen eines Abstrichs "hintenherum" auf den Gyno-Stuhl setzen möchte, der so einladend dasteht, winkt sie ab. Aber nicht, weil es sie so ekeln würde vor mir, sondern deswegen: "Sorry, bei Männern bringt das nichts." Aber die HP-Viren, die vielgefürchteten? Beginnende Warzen? Was ist, wenn sie schon sprießen? "Dann", meint sie lässig, "müssen Sie eh woandershin."

Ich denke an meinen Freund und frage mich, wie schön seine außerehelichen Erlebnisse sein müssen, dass er so einen Abstrich regelmäßig in Kauf nimmt. Sehr schön vermutlich, und sehr angenehm. (Manfred Rebhandl, CURE, 9.11.2019)