Mit Perücken lässt sich der kahle Kopf kaschieren, im Schminkkurs bei Catharina Flieger lernen die Frauen auch, wie sie Augenschatten abdecken oder ihre Brauen nachstricheln. Das vermindert die Anzeichen der Krankheit.

Foto: Birgit Machtinger

Das Datum ihrer Krebsdiagnose wissen alle hier im Raum genau. Für Doris Weiss war der 15. März der Tag, der alles veränderte, für Claudia Meibock der 2. November, und Sylvia Wagner hat am 19. Jänner erfahren, dass mit ihrem Körper etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist.

Es ist ein Vormittag Anfang Mai, insgesamt sechs Frauen sitzen im lichtdurchfluteten Heurigen Mariell in Großhöflein. Es könnte die Zusammenkunft einer Selbsthilfegruppe sein. Ist es aber nicht: Hier findet in den nächsten Stunden ein Schminkkurs statt. Plus, und das ist für alle besonders, ein Fotoshooting im Anschluss daran.

Die Organisatorinnen sind Catharina Flieger und Birgit Machtinger. Die beiden haben für ihre Initiative den gemeinnützigen Verein Feel again gegründet, weil sie "Frauen, die es gerade nicht so leicht haben, einen schönen und angenehmen Vormittag gestalten wollen. Überall auf den Tischen stehen Blumen, Getränke werden verteilt, und auf den ersten Blick wirkt alles hier im Raum unbeschwert.

Trotzdem präsent

Doch alle wissen, dass sie Leidensgefährtinnen sind. Wer einen Schminkkurs bei Feel again macht, will sich etwas Gutes tun. Doch die Krankheit ist trotzdem präsent und wird immer wieder zum beiläufigen Gesprächsthema. Krebs, da sind sich alle im Raum einig, schlägt erst einmal wie eine Bombe ein. Das Leben ist bedroht.

Einige der Frauen erfuhren schnell, dass nun eine Chemotherapie anstehen würde. Infusionen, Übelkeit, Haare verlieren. Claudia zum Beispiel steht zu ihrer Erkrankung, hat aber dann doch nach der vierten Chemo angefangen, hin und wieder eine Perücke zu tragen. Sie hat sich nach der ersten Chemotherapie eine Perücke gekauft, weil "sie sich normal fühlen und von den anderen nicht wie eine Kranke behandelt werden sollte", sagt sie.

Doris Weiss (44) nickt nur zustimmend. Ihr sei es besonders schwer gefallen, mit ihren beiden Töchtern – sie sind zehn und 13 Jahre alt – über die Krankheit, die Chemo und alles andere zu sprechen. Seit sie es wissen, wird aber offen damit umgegangen. Heute ist ein angenehmer Tag, weil "ein Schminkkurs endlich wieder einmal etwas ganz Normales ist".

Fotoshooting erleben

Dann übernehmen die beiden Organisatorinnen das Ruder. Catharina Flieger ist Make-up-Artistin, sie wird den Frauen Tricks beibringen, sagt sie, die die Strapazen der Therapie ein bisschen kaschieren. Birgit Machtinger hingegen ist professionelle Fotografin und wird das Resultat dann "shooten". Das klingt toll in den Ohren der Frauen.

Es ist ein Konzept, das die beiden schon oft erprobt haben. Flieger und Machtinger haben einander zufällig kennengelernt, "wobei wir nicht an Zufälle glauben", sagen sie. Im Gespräch habe sich dann die Idee der Schminkkurse entwickelt, die beiden haben es zu ihrem Herzensprojekt gemacht.

Seit 2018 bieten sie diese Kurse an, die auch immer sofort ausgebucht sind. Die beiden improvisieren, suchen kostengünstige Locations, eine große Drogeriemarktkette ist mit Produktspenden als Sponsor aufgesprungen.

Heute ist ein angenehmer Tag, weil "ein Schminkkurs endlich wieder einmal etwas ganz Normales ist".
Foto: Birgit Machtinger

"Ich hatte große Angst davor, die Haare zu verlieren", gibt Doris auch unumwunden zu. Sie habe zwar immer auf ihr Äußeres geachtet, aber noch niemals zuvor einen Schminkkurs besucht. Catharina sieht Doris' Gesicht prüfend an. Die Augenringe sollen weg, und die geplatzten Äderchen auf der Wange sollen verschwinden, und ja, "dir sind viele Augenbrauen ausgefallen, die lassen sich mit braunem Kajal nachstricheln". Schwarz wäre eine viel zu harte Farbe dafür, rät sie. Nicht nur die Kopfhaare, sondern auch die Wimpern und Brauen fallen nach einigen Zyklen Chemotherapie aus.

Das wirkt ein wenig nackt und verletzlich. "Mit ein paar Tricks lässt sich das wirklich sehr gut kaschieren", sagt Catharina Flieger und bringt den Teilnehmerinnen des Schminkkurses die Wirkung von Concealer bei. Vor den Spiegeln beginnen dann auch die Frauen das etwas dickflüssige Make-up unter die Augen zu tupfen und wirken auf einen Schlag frischer. "Ich bin ja noch eine Frau", sagt Claudia Meiböck ganz verwundert zu sich in den Spiegel und gibt damit ein wenig Einblick, was eine Krebserkrankung für die Psyche bedeutet.

Abwechslung zum Spitalsalltag

"Als ich die Haare verlor, hab ich den Spiegel abgedeckt", gibt Doris Weiß zu, und das, obwohl sie nicht wirklich ein sehr eitler Mensch ist. Dann habe sie sich aber daran gewöhnt. Je länger der Schminkkurs dauert, umso ausgelassener ist die Stimmung. Die ersten Frauen sind fertig geschminkt und stehen bei Birgit Machtinger vor der Kamera.

"Eine schöne Abwechslung ist das hier", sagt Sylvia Wagner, als sie sich die Fotos auf dem Display auf der Kamera anschaut. "Schaut mal, wie schön ich bin", sagt Doris Weiß stolz. So stark wäre sie eigentlich noch selten geschminkt gewesen, sagt sie, es gefalle ihr und sie sei gespannt, wie ihre beiden Töchter das finden würden.

So gut gefühlt wie jetzt habe sie sich in den letzten Wochen selten. Das liege an den Krankenhäusern, den Wartezeiten, den Untersuchungen. "Nächste Woche habe ich wieder Chemo, ich werde mich wie erschlagen fühlen, aber gerade jetzt ist es gut", sagt sie.

Worüber sich Make-up-Artistin Catharina Flieger richtig freut, ist, wenn sie hören, wie gut sich die krebskranken Frauen nach so einem Vormittag fühlen.
Foto: Birgit Machtinger

Fotografin Machtinger ist aufgefallen, dass viele krebskranke Frauen, die sie fotografiert, Kraftsprüche brauchen, um durch diese Lebensphase gut durchzukommen. Sie rückt eine Lampe zurecht, stellt den Hocker ein bisschen anders und wartet, bis das nächste Modell hier Platz nimmt.

"In der Ruhe liegt die Kraft", sei so ein Spruch, den sie immer wieder hört, und manchmal, sagt sie, sei es auch wirklich schwierig, ein Lächeln auf die Lippen der Frauen zu zaubern. Sylvia Wagner nimmt Platz. Das Shooting startet. Machtinger macht kleine Späße, wartet, überrascht die Frauen immer wieder mit ihrer Kamera. "Das bin ich? Ich sehe mich eigentlich ganz anders, aber ich gefalle mir", sagt Sylvia Wagner und versichert der Fotografin, dass sie eine Freude mit diesen Bildern habe.

Nur mehr Patientin sein

Für das Feel-again-Team bedeutet das: "Mission completed". Sie wollen diese Workshops auch weiterhin kostenlos anbieten können. Beide wissen, weil sie es schon so oft gehört haben, wie sehr der Selbstwert der Menschen unter einer Chemotherapie leidet, wie schwierig es ist, plötzlich nur noch als Kranke oder als Patientin durchs Leben zu gehen.

Worüber sich Catharina Flieger richtig freut, ist, wenn sie hören, wie gut sich die krebskranken Frauen nach so einem Vormittag fühlen, etwa von den Töchtern, die sich bei Machtinger und Flieger dann auch bedanken. Wenn eine Mutter zu ihrer Tochter, "Schau mal, wie schön ich bin", sagt, dann ist das ein Feedback, über das sich die beiden Feel-again-Initiatorinnen, die stets auf der Suche nach Unterstützung sind, freuen – und das sie bestärkt weiterzumachen. (Karin Pollack, CURE, 6.10.2019)