Gegen die Tragödie hilft keine Muskelkraft.

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Der Fighter gegen die Kräfte des Schicksals und die Macht der Prophezeiung verfügt über gute körperliche Anlagen. Das Baby Œdipe, das mitten auf der Bühne der Salzburger Felsenreitschule erste Stehversuche absolviert, während seine Geburt mit Lichtfackeln und Trockeneisnebel zelebriert wird, ist ja muskulär bereits sehr gut gepolstert. Am Gleichgewichtsempfinden muss noch gefeilt werden – wie der Kleine aber seinen Bizeps spannt!

Die Aura als neugeborener Kraftprotz verweist schon auf die Bestimmung, welche Regieveteran Achim Freyer für den Kleinen vorgesehen hat: Vater Laios (Michael Colvin) hat den winzigen Œdipe zwar mit einem Schwert eine Wunde zugefügt, die den Sprössling zeitlebens klumpfußartig belasten wird.

Der Superheld

Dennoch wächst Œdipchen zum Superhelden heran. Als wäre er aus einem Comic in Freyers Regiefantasia hineingeplumpst, posiert er aufgepumpt als popkultureller Mix aus Rocky und wütendem Hulk. Zudem ist er im Besitz eines Lichtschwertes, das er sich womöglich von einem Jedi-Ritter geliehen hat.

Vor der Sogwirkung der Vater-morden-Mutter-heiraten-Flüche schützt das allerdings nicht. Papa muss dran glauben, und der schuldlos schuldige Sohn darf sich an ihm so richtig austoben: Sieben sandsackartige Gebilde schweben herab, um von Fighter Œdipe mit Japs und Uppercuts bearbeitet zu werden, bis ein Riesenbeutel mit dem Lichtschwert angestochen wird und das väterliche Leben so beendet wird.

Die Sackform

Laios allerdings haucht sein Dasein nicht nur symbolisch in beschriebener Sackform aus. In den Arkaden ist er parallel als taumelnde Existenz zu sehen, die ihre eigene schwarze Puppe trägt. Freyers Welt der traumhaft verrückten Dimensionen kippt hier ein bisschen gar ins Plakative. Sie wirkt als selbstverliebter Theaterzirkus, der auf groteske Effekte aus ist, um in Salzburg kindliches Premierenstaunen hervorzukitzeln.

Als szenische Installation mit Marionetten und Menschenpuppen funktioniert das Spektakel in der Felsenreitschule allerdings – mit seiner raumfüllenden Buntheit – durchaus belebend. Es staunt das Auge über eine Riesenheuschrecke oder eine Monsterschere, die aus zwei Würmern besteht und auf die Sphinx verweist, die Œdipe besiegen wird.

Es kracht plump

Und zweifellos bewirken die sich unentwegt in Zeitlupe bewegenden Figuren – wie etwa der blinde Seher als Riesenharlekin (John Tomlinson) – eine sanfte szenische Dynamik, die nebst Schauwert auch Bühnenleben schafft. So apart natürlich auch Mutter Jocaste (Anaik Morel) als blaue Blüte umherschwirrt, so plump kracht sie dann jedoch als herabsausende Suizidpuppe auf den Boden. Sie hat erfahren, dass Œdipe ihr Sohn ist. Tja. Freyer stellt sich nicht vor die Geschichte. Ein etwas sensiblerer, diskreter Umgang mit den Ereignissen wäre dem Sujet aber dienlich gewesen.

Toller Boxer

Der geplagte Œdipe etwa hätte in diesem surrealen Kosmos als humane Normalexistenz größere Wirkung entfaltet. Dass er sich zum Schluss wieder "nackt" in die Embryonalstellung zurückzieht und sich so ein Lebenskreis schließt, schafft zum Finale hin jedenfalls so etwas wie ein selten eindringliches, weil einfaches Bild. Auch als Boxer erbringt der Hauptdarsteller natürlich eine Meisterleistung: Bariton Christopher Maltman ist das intensive und wortdeutlich über alle Zweifel erhabene, kantabel tönende Zentrum der Aufführung, das auch ohne Muskelpolster und Boxhandschuhe reüssiert hätte.

Markante Symphonik

Ausreichend farbprächtig ist auch die Musik. Die mythologische Geschichte ist opulent in einen Orchesterschleier aus Spätromantik gehüllt, der von den Wiener Philharmonikern süffig und kultiviert ausgebreitet wird. Der deklamatorische Duktus der Gesangspartien in der Tradition der Tragédie lyrique findet sich emporgehoben durch Wogen atmosphärisch markanter "Symphonik", extrem perkussive Momente und eine adagioartige Lyrik.

Unter der Leitung von Dirigent Ingo Metzmacher entfaltet das Poetische seine Aura auch in den Augenblicken der finalen Seelenreinigung des erleuchteten Boxers Œdipe, der keiner hätte sein müssen. Applaus für alle, auch für den guten Staatsopernchor. Nur für die verspielte, überbordende Arbeit von Freyer ein paar Buhs. (Ljubiša Tošić, 12.8.2019)