Unterwegs mit Kind – das ist manchmal anstrengender, als es sein müsste.
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Der Blick schärft sich oft erst, wenn man selbst mit einem Kind in vollen Bussen oder U-Bahnen unterwegs ist. Wenn man mit ihnen in einer Schlange steht und nervös alle zehn Sekunden hinter die als Vorhang genutzte Stoffwindel lugt, ob das Baby vielleicht erste Anzeichen von sich gibt, bald aufzuwachen – und womöglich loszubrüllen, vielleicht sogar länger nicht mehr damit aufhört.

Eltern – vor allem Mütter – wissen, dass das keine irrationale Sorge ist. Nicht wegen des Geschreis, sondern wegen der genervten Blicke, der besserwisserischen Kommentare, wie man das Kind beruhigen könnte, das kennen sie zuhauf. Das kann sogar bis zum Rauswurf gehen.

Genau das ist einer Mutter Anfang der Woche in einer Wiener Bäckerei passiert, wo sie ein Wasser für ihr Kind kaufen wollte. Es war heiß, über dreißig Grad, die Hitze wurde zusätzlich durch die Asphaltwüste der Innenstadt befeuert. Das Kind war durstig, und es schrie – wie es Kinder nun mal tun, bekanntlich auch dann, wenn die Umstände bessere sind. Doch das Schreien war für einen Bäckereiangestellten offenbar Grund genug, die Frau der Bäckerei zu verweisen, er bekomme Kopfweh von dem Geschrei.

Bitte möglichst unauffällig

Genau vor so etwas fürchten sich, wenn auch nicht immer bewusst, eine Menge Frauen. Und wie man sieht: Es ist keine Einbildung, dass man noch immer meint, dass Kinder bitte nicht als solche auffällig werden dürfen. Und wenn sie es doch tun – völlig ihrem Alter entsprechend –, ernten Mutter und Kind giftige Blicke und feindseliges Gemurmel. Mindestens. Und ja, es trifft vor allem Frauen. Die Statistik bestätigt (119.476 Frauen waren im Dezember 2018 in Karenz, unter den Vätern waren es 4.773), was wir ohnehin mit freiem Auge sehen: Sie sind vor allem mit ihren Kindern unterwegs.

Und so mischt sich in die weitverbreitete Genervtheit über jeden Kindermucks noch eine ordentliche Portion Misogynie. Wird sie laut mit dem Kind, ist sie die Horrormum, ist sie geduldig, Hippiemum, die alles durchgehen lässt. Verletzt sich das Kind in der Öffentlichkeit, ist sie fahrlässig, ist jemand anders mit dem Kind unterwegs, ist sie die abwesende Rabenmutter. Und wenn Frauen gar keine Kinder haben, wird auch das zum Problem erhoben – wie frau es macht, es ist falsch.

Nichts als Belehrungen

Wie tief die Missgunst geht, zeigen auch die Reaktionen auf den Vorfall. Die betroffene Mutter erzählt davon auf Twitter. Dass ihr selbst zum Weinen ist, dass sie wütend ist. Trotzdem greift sie den Mitarbeiter nicht persönlich an, sie zeigt auf Twitter Verständnis für den stressigen Job in der Hitze, dass es auch menschlich ist, wenn man da falsch reagiert.

Was passiert? Abgesehen von den üblichen hasserfüllten frauenfeindlichen Kommentaren wird sie auch von scheinbar Manierlicheren kritisiert: Da gibt es Belehrungen, man könne sich doch überall Wasser kostenlos in eine Flasche füllen. Andere greifen sie an, weil sie "wehrlose Angestellte öffentlichen bashen" würde, "so führt sich höchstens das Klischee einer überkandidelten Bling-Bling-Mummy mit zu viel Tagesfreizeit auf, die denkt, Mitarbeiter wären Leibeigene".

Dass die betroffene Frau den Entschuldigungsanruf der Bäckereichefin dazu nutzte, sich versichern zu lassen, dass es keine Kündigung und keine anderen Sanktionen für den Mitarbeiter gibt – völlig egal. Sie wird auf Twitter als "unsolidarisch" geschimpft. Sogar von politischer Seite. Henrike Brandstötter, Mitglied des erweiterten Bundesvorstands der Neos, beschreibt den Vorfall als "Beef einer Gewerkschafterin mit Bäckerei-Angestellten", die ihre "Reichweite für Eskalation nutzen" würde, um sich anschließend für ihre "Generosität" abfeiern zu lassen, weil sie nicht seine Kündigung fordert.

Darüber reden

"Halt die Klappe, alles andere ist Selbstinszenierung." Das ist die Aussage solcher Tweets. Dass es für Frauen auf der Tagesordnung steht, sich ständig dumm wegen des Verhaltens ihrer Kinder und ihres Umgangs mit ihnen anreden lassen zu müssen, dass es ebenso auf der Tagesordnung steht, dass Frauen meist nicht lautstark dagegen auftreten. Dass sie sich in der Öffentlichkeit mit Kindern oft stressen, um solchen Situationen aus dem Weg zu gehen. Diesen Zusammenhang kapiert man offenbar nicht.

Es geht auch nicht um diesen einzelnen Vorfall, nicht um diesen einen Mitarbeiter. Es geht um eine gesamtgesellschaftliche Stimmung gegen Kinder, die hörbar sind, und gegen Frauen. Diese zu beschreiben und zu benennen ist extrem wichtig, denn das schafft Entlastung für viele Frauen, ein Gefühl dafür, dass sich auch andere diese Scham aufzwingen lassen. Und vielleicht bewirkt es, dass man sich beim nächsten Mal auch wehrt. (Beate Hausbichler, 13.8.2019)