Von wegen unbelehrbar. Die ÖVP ist gerade dabei, einen Schwenk in einer der meistdiskutierten Fragen des Asylrechts zu vollziehen: Sollen Lehrlinge in Österreich ihre Ausbildung fertig machen dürfen oder jedenfalls abgeschoben werden, wenn ihr Verfahren negativ endet? Bisher war die Linie der türkisen Regierungsmannschaft in dieser Frage klar. Ex-Kanzler Sebastian Kurz gab die Leitlinie "kein Asyl durch die Hintertür" vor und beharrte Seite an Seite mit dem ehemaligen Koalitionspartner FPÖ auf Abschiebungen. Nun aber hat Ex-Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck, Spitzenkandidatin der ÖVP Tirol, eine Neubewertung des Themas in den Raum gestellt.

Die türkise Spitzenkandidatin in Tirol, Margarete Schramböck, will das Thema Flüchtlinge und Lehre neu bewerten.
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Wieso der Sinneswandel? Die ÖVP war in der Lehrlingscausa immer gespalten. Viele Unternehmer, von Bregenz bis Amstetten, haben Asylwerber als Lehrlinge eingestellt. Einerseits, weil sie unbesetzte Lehrstellen zu füllen hatten. In vielen ländlichen Regionen gibt es einen Mangel an Interessenten für Lehrberufe wie Koch und Dachdecker. Manche Unternehmer sahen in der Aufnahme der Migranten aber auch einen Beitrag zu gelungener Integration, nach dem Motto: Wer sich bemüht, verdient eine Chance.

Undogmatischer Zugang der Firmenchefs

Der undogmatische Zugang der Firmenchefs brachte den Wirtschaftsflügel der ÖVP mit der türkisen Parteiführung in Konflikt. Dort wurde nämlich die Meinung vertreten, dass eine harte Linie in der Asyl- und Migrationspolitik notwendig ist. Das aber bedeutet, selbst dann keine Ausnahme zu machen, wenn es die praktikabelste Lösung für alle wäre: für die Asylwerber, die bleiben wollen, die Unternehmen, die Arbeitskräfte suchen, und die Gemeinden, die sich für Neuankömmlinge einsetzen.

Die Sprengkraft des Themas entdeckt hat der grüne Integrationslandesrat Rudi Anschober aus Oberösterreich. Er hat mit seiner Kampagne für die Lehrlinge Unterstützer bis tief hinein in ÖVP-Milieus gewonnen. Als Folge des Drucks von innen wie außen haben die ÖVP-Chefs in Tirol, Salzburg und Vorarlberg begonnen, eine pragmatische Lösung zu fordern. An der Bundes-ÖVP sind sie abgeprallt. Nach dem Aus der Koalition mit der FPÖ haben sich die Gewichte in der Partei aber verschoben. Nun will auch Oberösterreichs mächtiger Landeshauptmann Thomas Stelzer ein Bleiberecht für Lehrlinge. Daran kommt die Bundes-ÖVP nicht vorbei.

Neue Koalitionsvarianten nach der Wahl

Damit öffnet die ÖVP ihre Tür für neue Koalitionsvarianten nach der Wahl. Neben den Grünen forderten auch die Neos stets, die Lehrlinge nicht abzuschieben. Sollte die ÖVP mit einer der beiden Parteien koalieren, ist klar, dass sie in der Migrationsfrage keinen 180-Grad-Schwenk wird vollziehen können. Aber sie wird Zugeständnisse machen müssen. Da ist das symbolträchtige Lehrlingsthema gut geeignet, auch weil es nur um rund 900 Lehrlinge geht. Ob es tatsächlich zu einem Politikwechsel kommt, wird sich aber erst nach der Wahl entscheiden, die FPÖ hat fix kein Interesse daran.

Macht sie es klug, kann die ÖVP aus der Causa viel lernen. Österreich ist gemessen an seiner Bevölkerung eines der größten Einwanderungsländer in Europa. Davon haben heimische Unternehmen enorm profitiert, denen hunderttausende neue Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Diese Erfahrung der Betriebe hat mit der Grenzen-dicht-Rhetorik der Mannschaft rund um Kurz nie zusammengepasst. Das Ende der Koalition mit der FPÖ bietet der ÖVP die Chance, ein neues Gleichgewicht in dieser Frage zu finden. (András Szigetvari, 13.8.2019)