50.000 Besucher täglich werden wie jedes Jahr beim Frequency-Festival in St. Pölten erwartet. Dabei geht es gar nicht so sehr um Musik, sondern um einen schön exzessiven Ferienausklang.

Foto: HERBERT P. OCZERET

FÜR

Will man eine Lanze für Musikfestivals brechen, muss man eigentlich bei den Affen anfangen. Nicht weil manch einem heutigen Homo sapiens sapiens bei Großveranstaltungen dieser Art oft danach ist, in Gestalt, Wort und Tat an frühere Ausformungen der Primatengattung anzuknüpfen (Homo erectus hat immer Saison!); sondern weil Musik seit Urzeiten im Grunde einen einzigen wichtigen Zweck verfolgt: Gemeinschaftsbildung.

Es war der Drang, sich mit anderen auf die eine oder vielmehr andere Art (LSD!) zu verbinden, weswegen vor 50 Jahren eine halbe Million Menschen ins US-amerikanische Bethel zogen, um mit Woodstock die Mutter aller Großfestivals in die Welt zu setzen. Und es ist derselbe Drang, der dieses Wochenende tausende junge Leute nach St. Pölten treibt, um das traditionelle Frequency-Festival zu begehen. Musik, das ist seit 50 Jahren gleich, ist da Beiwerk. Schon in Woodstock war die gesamte erste Riege der Popmusik ferngeblieben: Beatles, Rolling Stones, Bob Dylan, The Doors, Led Zeppelin – alle nicht dabei. Es schlug die Stunde der Janis Joplin, zum Beispiel.

Das heuer gleichfalls durch prominente Leerstellen glänzende Frequency wird, zum Beispiel, die 17-jährige Billie Eilish retten – sie ist, wenn man böse sein will, der einzige jener 104 Acts, der wegen seiner Musik interessiert. Dass das Festival dennoch so schnell ausverkauft gewesen sein soll wie nie zuvor, zeigt, dass die Zukunft des Konzertgroßformats trotz boomender Kleinfestivals nach dem Motto "Small is beautiful" gesichert sein dürfte. Die zügellose Kommerzialisierung seit den Tagen in Bethel hat, abgesehen von glühenden Kreditkarten der Mamas und Papas, auch Annehmlichkeiten gebracht:

Bei einem unguten Rausch ist nicht mehr auf Hippie-Zaubersprüche, sondern auf feine Infusionen der Schamanen vom Roten Kreuz Verlass; Nahrung gibt es bio-vegan; Brauseköpfe und WC-Spülung funktionieren besser als zu Hause; die Security stellen nicht wie 1969 beim Festival von Altamont messerstechende Hells Angels auf Speed, sondern geschultes Personal mit Doppeldoktor in Konfliktmanagement; Camping ist für gutes Geld auch als Glamping zu haben, gerne Green und als Women only: Meterhohe Scherengitter schützen dann vor Testosterondeppen mit undichten Stellen im Kopf- oder Schambereich. Beim Müll war Woodstock übrigens auch ein Dreck. Die Generation Greta gelobt Besserung. (Stefan Weiss, 15.8.2019)

WIDER

Wir schreiben den Sommer neunzehnhundertdingsda, und es ist nach ein paar Wochen Ferien und einem beschissenen Job als Bierausfahrer schon ziemlich fad in der oberösterreichischen Kleinstadt. Ob wir damals schon vom fortschrittlichen Lehrer mit seiner "Aktion der gute Film" dazu vergattert worden waren, uns nach der Schule im Stadtkino den Woodstock-Film anzuschauen, um darüber am nächsten Tag im Unterricht zu diskutieren, man weiß es nicht. Sicher ist, dass der grausliche Woodstock-Film mit seinem langzotterten Publikum, dem Dreck und der Stimme von Joan Baez zwar nicht so eine große Enttäuschung war wie die ebenfalls im Rahmen dieser Reihe gezeigte Verfilmung der Marquise von O. Auf die hatten wir uns gefreut, weil wir sie mit der Geschichte der O verwechselt hatten. Das führte bei den Burschen im Kino zu großem Kummer und Zwischenrufen wie "Zieh dich endlich aus!". Worüber dann am nächsten Tag in der Schule ebenfalls diskutiert werden musste.

Ach so, ja, fad: Jedenfalls wurde damals im Sommer beschlossen, mit den Mopeds zu einem dieser neunzehnhundertdingsda langsam ins Kraut schießenden Open-Air-Festivals zu fahren. Immerhin spielte am Nachmittag noch vor den ganzen Hippiebands eh eine ganz gute Punk-oder-so-Partie aus der Metropole Linz. Das Festival auf so einer Hippiewiese gleich neben einem Hippiewirt war grauenhaft. Die Leute tanzten komisch, das Essen war mit Gemüse. Und trinken konnte man auch nicht viel, weil die Polizei im Bezirk traditionell scharf unterwegs war. Die Punk-oder-so-Partie zeichnete sich im Wesentlichen dadurch aus, dass sie im Gegensatz zu den langzotterten Bluesrockern danach keine Gitarren solos spielte, also für Linzer eh okay war. Gitarrensolos waren des Teufels. Jimi Hendrix, Jimmy Page, Johnny Winter. Knallharte Typen. Unerträglich.

Außerdem kamen wir uns in dieser fröhlichen Batiklandschaft mit unseren schwarzen Anzügen und schwarzen Hemden und der Nachtbleiche unter den Bundesheerfrisuren auch ziemlich blöd vor. Das lässt darauf schließen, dass wir wirklich ziemlich blöd ausgeschaut haben. Seither bin ich gegen Musik an der frischen Luft. Musik braucht Dach! Den Woodstock-Film habe ich nie wieder gesehen. Das Frequency-Festival musste ich mehrmals beruflich besuchen. Ich möchte aber nicht darüber sprechen. (Christian Schachinger, 15.8.2019)