Kontakt nur zu anderen Asylwerbern: Die Unterbringung im abgelegenen ländlichen Raum wird als negativ empfunden.

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Bevor Herr S. nach Österreich kam, hatte er in Syrien schon 13 Jahre als Zahnarzt gearbeitet. Ein prestigeträchtiger Beruf, der ihm Respekt sicherte. Im neuen Land war er noch niemand. Die Anerkennung seiner Diplome gestaltete sich wegen mangelnder Deutschkenntnisse äußerst schwierig, sodass er seinen Beruf nicht ausüben konnte.

Der damit verbundene Statusverlust belastete ihn sehr. "Was dem einzelnen Migranten ein wirkliches Ankommen in der neuen Gesellschaft erschwert, ist individuell sehr unterschiedlich", berichtet Katharina Auer-Voigtländer vom Institut für Soziale Inklusionsforschung der FH St. Pölten.

Die meisten hätten relativ konkrete Zukunftsperspektiven, auf die sie hinarbeiten. Obwohl diese Vorstellungen von einer guten Zukunft oft gar nicht das eigene Leben betreffen. "Wir sind hier nicht wegen uns, sondern damit unsere Tochter eine Zukunft in Sicherheit hat", erklärte etwa eine von Auer-Voigtländers Interviewpartnerinnen.

"Die Menschen kommen mit sehr unterschiedlichen Ideen hierher", weiß die gelernte Sozialarbeiterin, die für ihre von der niederösterreichischen Förderagentur NFB geförderte Dissertation über "Inklusions- und Exklusionspraxen im Kontext von Fluchtmigration" 14 Tiefeninterviews mit Geflüchteten führte.

Biografie der Geflüchteten

"Mein Ziel war die genaue Analyse eines bestimmten Teils der Biografie von Geflüchteten – nämlich der Phase des Ankommens in einer neuen Gesellschaft." Durch die Rekonstruktion dieses Ankommensprozesses sollen die Faktoren erkennbar werden, die ihn positiv oder negativ beeinflussen.

Die Phase beginnt jedenfalls nicht mit der Einreise nach Österreich, auch die Flucht und die Zeit davor gehören bereits dazu", so die FH-Forscherin. Traumata, Ängste und Hoffnungen werden ja ins potenzielle Aufnahmeland mitgebracht. "In der kurzen Zeitspanne des physischen Ankommens erkennen viele erstmals die Kluft zwischen ihren Vorstellungen und der Realität."

Zunächst ist es meist die Art der Behandlung durch offizielle Stellen, die Enttäuschung auslöst. "Die Menschen fühlen sich fremdbestimmt." Abgeschlossen sei die Etappe des Ankommens erst mit dem positiven Asylbescheid. "Aber das kann Jahre dauern", so die Sozialwissenschafterin.

Als es für ihre Interviewpartner und -partnerinnen schließlich so weit war, sei der Spracherwerb an die erste Stelle ihrer Prioritätenliste gewandert. "Neben dem Lernen in Kursen war jeder bemüht, auch mit Österreichern in Kontakt zu kommen, um so auch ein Gefühl für die Alltagssprache und die neue Kultur zu entwickeln."

Da sich in dieser Zeit die Kontakte zu Einheimischen vor allem auf NGO-Mitarbeiter und engagierte Ehrenamtliche beschränkten, habe es relativ wenige schlechte Erfahrungen gegeben. Als großes Problem wurde allerdings die Unterbringung in abgelegenen ländlichen Regionen wahrgenommen: "Es gab neben den anderen Asylwerbern kaum Menschen, mit denen man hätte kommunizieren können."

Ein zentrales Thema neben dem Erlernen der neuen Sprache ist die Arbeitssuche. "Hier haben meine Gesprächspartner häufig Probleme mit der Nostrifikation angesprochen und auch das Leiden unter dem Statusverlust, wenn es sich um höherqualifizierte Migranten handelte." Insgesamt seien die Strategien, mit den Härten der Migration fertigzuwerden, unterschiedlich.

Keine homogene Gruppe

Das Resümee aus der bisherigen Forschung von Katharina Auer-Voigtländer: "Da es hier um sehr individuelle Prozesse geht, gibt es auch nicht die eine Maßnahme, die für alle funktioniert", so die Integrationsforscherin. Wie die Österreicher seien auch "die Migranten" keine homogene Gruppe. "Deshalb sollten sie auch individuell unterstützt und als Individuen behandelt werden."

Und was kann getan werden, um das Ankommen in der fremden Kultur und das Zusammenleben mit den Einheimischen zu erleichtern? "Im Gegensatz zum Begriff der Integration geht das Konzept der 'Inklusion' davon aus, dass es keine einheitliche Gesellschaft gibt, an der sich neu Dazugekommene orientieren können."

Wenn man Inklusion wolle, müsse sich also das gesamte System ändern – auf der Seite der Ankunftsgesellschaft ebenso wie auf jener der Migranten. Wie das konkret aussehen könnte? "Indem man Kontakte zwischen Österreichern und Migranten fördert und damit Ängste abbaut", schlägt Katharina Auer-Voigtländer vor. (Doris Griesser, 20.8.2019)