Johann Beran (71) sieht viel, hört viel – und nimmt sich kein Blatt vor den Mund.

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In vielen Unternehmen stehen derzeit wieder die Abläufe zur Revision an – Leerzeiten sollen eliminiert werden, der Workflow soll effizienter gestaltet werden, elektronische Kommunikation miteinander hält verstärkt Einzug. Was beobachtet die Arbeitspsychologie dabei? Wir haben Johann Beran gefragt, der seit Jahrzehnten in Unternehmen als Arbeits- und Notfallpsychologe tätig ist und auch Einzelklienten betreut.

STANDARD: Stehzeiten, Leerzeiten und beschäftigungslose Phasen stehen auf der Fahndungsliste. Hat das bemerkbare Auswirkungen auf die Belegschaften?

Beran: Ja, es hat sich ein elender Trend entwickelt: Die Leute reden übereinander statt miteinander. Ich habe das in den vergangenen Jahren mehr und mehr erlebt. Die Reduktion von Personal hat es verunmöglicht, zu Kollegen in einer anderen Abteilung zu gehen und kurz zu quatschen oder mit anderen ins Gespräch zu kommen. Das ist ein schwerer Managementfehler, der da passiert ist, weil das Konzentrieren auf das angeblich Wesentliche die Kommunikationskultur zerstört hat und die Leute einander gar nicht mehr kennen, voneinander nichts oder kaum etwas wissen.

STANDARD: Wo liegt da das Problem?

Beran: Wenn ich den anderen nicht kenne, dann fantasiere ich ihn oder sie mir zusammen. Ich muss ja einschätzen: Gefährlich oder nicht? Unser Gehirn ist darauf trainiert, Muster zu erkennen. Der Jammer ist, dass wir auch dort Muster erkennen, wo es gar keine gibt, das heißt, wir basteln uns Muster von anderen Menschen, eben dann aus dem Gerede über diese Menschen. Und wenn einmal ein Bild da ist, dann will das Gehirn es auch bestätigen. Wenn wir zu wenig Gelegenheit haben, einander kennenzulernen, dann wird jede Stimmungsschwankung, die wir sonst leicht erklären und damit verstehen könnten, sofort als persönlicher Angriff interpretiert. Im Zweifelsfall ist es gefährlich, sagt das Tier in uns. Und darauf reagieren wir dann. Ein idealer Nährboden für Mobbing und die gesamte Palette der Krankmacher. Im Irrenhaus normal bleiben zu wollen ist ja eine originelle Idee, funktioniert sehr wahrscheinlich aber nicht.

STANDARD: Erklärt sich so auch die zunehmende Aggression?

Beran: Ja, das Notfallrepertoire ist verteidigender Angriff. Sobald es eng wird, greife ich darauf zurück, das ist unser Programm. Der Angriff macht noch mehr Druck, und so geht das weiter. Manager greifen jetzt auch wieder auf Uralt-Strategien zurück: Seit es divide et impera gibt, gibt es divide et impera.

STANDARD: Worunter leiden Menschen, die in solchen Situationen zu Ihnen kommen?

Beran: Angst, weil Situationen nicht verstanden werden. Isolationsgefühlen. Unerträglichem Druck.

STANDARD: Um Burnout als Thema ist es zuletzt aber viel leiser geworden.

Beran: Ja, weil es ein unerwünschter Begriff ist, mit unerwünschten Konsequenzen für Unternehmen und für Krankenkassen. Aber die Symptomatik ist mehr als je zuvor da.

STANDARD: Aber als gute Mischung aus Überforderung privater und beruflicher Natur?

Beran: Kurz gesagt: Wir leben ein deppertes Leben, wer kann da erwarten, normal zu bleiben? Es spielt hier wesentlich auch die Zombieisierung der Gesellschaft hinein.

STANDARD: Hä?

Beran: Wenn ich Medikamente – die weitverbreiteten Psychopharmaka – zu mir nehme, die mich beim Spüren behindern, dann kann ich nicht mehr in Beziehung treten, nicht mit mir selbst, nicht mit anderen. Das kann ich auch in Angst und Zorn nicht. Da wir gleichzeitig permanent unser Gehirn mit Datenmüll überlasten, findet sich auch nur schwer ein Ausweg. Das Gehirn hat es ja nicht leicht, uns mitzuteilen, dass der Arbeitsspeicher grad voll ist.

STANDARD: Kopfweh, Müdigkeit, Traurigkeit, Stress ...?

Beran: Ja, aber die Signale sind leise und schleichend, und wir sind ja überaus bemüht, sie ja nicht zu hören. Bis die Überlastung da ist. Und dann ist die Beziehungsunfähigkeit da. Privat und beruflich.

STANDARD: Es hört ja auch nie auf. Ich muss toll sein, muss mich täglich neu erfinden, heißt es.

Beran: Ja, dieses "Erfinde dich täglich neu" ist wirklich interessant: eigentlich ein tägliches Hintrainieren auf Alzheimer. Absurd ist noch schlecht beschrieben.

STANDARD: Zurück zum internen Pläuschchen: Was kann schnell getan werden?

Beran: Die Leute sein lassen und miteinander reden lassen. (Karin Bauer, 19.8.2019)