Maestro Riccardo Muti begeisterte in Salzburg einmal mehr mit den Wiener Philharmonikern.

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Salzburg – Die Hölle wird leer sein. Zumindest wenn Riccardo Muti die armen Seelen aus dem Fegefeuer herausführt, wird im Himmel kein Auge trocken und der arme Teufel an den leeren Schwefel-Pfühlen sitzen bleiben. Erlösung ist angesagt: Libera me, Domine. Und besagter Herr wird sich nicht trauen, kein Erbarmen zu haben.

Giuseppe Verdis "Messa da Requiem", von den Salzburger Festspielen gewidmet dem Andenken an Herbert von Karajan zum 30. Todestag, in der Lesart von Riccardo Muti am Pult der Wiener Philharmoniker, war eine fulminante konzertante Oper voll fauchender Furien, dröhnender Kriegstrommeln, einschlagender Blitze und verzweifelt Flehender. Sie war aber auch eine Weihestunde sakralen Charakters mit leisen Geschichten von Hoffnung und Versöhnung.

An die Nieren, aber nicht zu viel

Wenn der Tenor "Opfer und Gebete" auf die schlichte und bewegende Melodie des "Hostias" darbringt, will das (weil entweder zu fromm oder zu sinnlich) weder in die Oper noch in die Messe passen: Es erzählt vielmehr davon, dass es nach dem Tod vielleicht doch noch irgendetwas und irgendwen gibt, mit dem man sich gut stellen will: Überm Sternenzelt muss einfach ein milder Vater wohnen, zusammen mit dem Sohn – "Pie Jesu Domine".

Solche Stellen, die über den Kategorien "weltlich" oder "geistlich" stehen, gibt es viele in Verdis Requiem. Wenn gegen Ende der Sopran im quasi archaischen Sprechgesang um die Befreiung vor dem ewigen Tod an jenem furchtbaren Tag fleht – "in die illa tremenda" – dann ist das ein archetypisches Beschwören von Ängsten, die keine Konfessionen oder Kulturen kennen oder brauchen, um den Menschen zu beuteln: Riccardo Muti verleiht der Musik genau die richtige Intensität, damit sie dem Zuhörer an die Nieren gehen, bewahrt sie aber auch genau vor jenem Zuviel, das sie in plakatives Getöse abdriften lässt.

Präzise Phrasierung

Selbst in den dramatischen Passagen versteht man den Text. Wie kein zweiter weiß Riccardo Muti die Solisten auf Händen zu tragen. Noch im wildesten Getümmel des "Dies irae" ebnet er den Stimmen, auch des Chores, Bahn, ermöglicht klare Linien und präzise Phrasierung. Die stillen Passagen betören mit purer Klangschönheit. Unvergleichlich etwa die Phrase des Tenors "mihi quoque spem dedisti" mit der spürbaren Betonung auf dem "quoque": Gib auch mir Hoffnung...

Das Solistenquartett dieser Jahrhundertaufführung: Krassimira Stoyanova, Sopran, mit strahelnder Höhe, Anita Rachvelishvili, Mezzosopran, mit geradezu wundersamen pianissimi in ihren hohen Lagen, der unvergleichliche Francesco Meli Tenor und Bassist Ildar Abdrazakov. Die von Ernst Raffelsberger einstudierte Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor vermittelte souverän Farbe und Dramatik. (Heidemarie Klabacher, 14.8.2019)